Wie ein Baum von Martin Klein. Jugendbuchempfehlung
Martin Klein:
Wie ein Baum
1. Bibliografische Angaben und Lesestufe
- Martin Klein: Wie ein Baum. Florian Erdmanns unglaubliche Geschichte. München: Omnibus, 2003, 320 S.
- Lesestufe: 5.–6. Klasse
2. Inhaltsangabe
Der zwölfjährige Florian Erdmann interessiert sich sehr für Bäume. Kurz nachdem er in seinem neuen Buch den Tipp gelesen hat, sich in einen Baum hineinzuversetzen, um dessen Lebensweise nachvollziehen zu können, stellt er fest, dass er Pflanzen verstehen kann. Bald bemerkt er weitere Veränderungen: Plötzlich schmecken ihm abgestandenes Wasser und Kompost, seine Haut und seine Haare beginnen grünlich zu schimmern und nach dem „Genuss“ von Mineraldünger und unter dem Einfluss der Sonnenstrahlen entwickelt er außergewöhnliche Kräfte. Außer vor seiner Freundin Meike versucht Florian, sein verändertes Aussehen zu verbergen – indem er Bräunungscreme auf Gesicht und Hände aufträgt und seine Haare blond färbt –, was aber nicht lange gelingt. Während die Medien zunächst die Familie belästigen, dann aber das Interesse verlieren, lässt der Biologe Professor Bayer nicht von seinem Vorhaben ab, Florian zu untersuchen, auch wenn dessen Eltern die Erlaubnis dazu verweigern. Er vermutet bei dem Jungen Stoffwechselprozesse, die eigentlich nur bei Pflanzen ablaufen, und erhofft sich Ruhm und Reichtum von den Forschungsergebnissen. Da ihm kein Arzt helfen kann, begibt sich Florian schließlich in das Therapiezentrum des Psychologen Professor Faßbinder, um vielleicht dort wieder in seinen Normalzustand zurückzukehren und so den Nachstellungen durch den karrierebesessenen Biologen zu entgehen. Das Therapiezentrum entpuppt sich jedoch als geschlossene Einrichtung und der Psychologe als sehr kooperativer Bekannter Bayers, weshalb der Junge heimlich flieht. Inzwischen hat Bayer den Detektiv Mahlow engagiert und so kommt es zu einer Verfolgungsjagd, die alle Beteiligten auf die kanarische Insel Gomera führt, wo Meike mit ihrem Vater Urlaub macht und ihren Freund verstecken will. Während Florian die Sprache der Pflanzen immer schlechter versteht und auch seine grüne Farbe allmählich verblasst, verliebt sich Detektiv Mahlow in die Bekannte von Meikes Vater und wechselt die Seiten. Gemeinsam mit Familie Erdmann, Meike und deren Vater setzt er Bayer erfolgreich unter Druck, von der weiteren Verfolgung des Jungen abzulassen, der ohnehin seine ursprüngliche Farbe wiedererlangt hat. Florians Leben normalisiert sich und inzwischen hat er auch ein besseres Verhältnis zu seinem Bruder und seinem Vater gewonnen.
3. Kurzinformationen zum Autor
Martin Klein gehört neben Schriftstellern wie Cornelia Funke und Dietlof Reiche zu der neuen Generation von Kinder- und Jugendbuchautoren, die ohne erzieherischstrengen Zeigefinger ansprechende Bücher schreiben. Er wurde 1962 in Lübeck geboren und begann als begeisterter Sportler zunächst Sport zu studieren, entschied sich aber bald für eine Ausbildung zum Landschaftsgärtner. Noch während seines anschließenden Studiums der Landschaftsplanung veröffentlichte er 1990 sein erstes Kinderbuch Lene und die Pappelplatztiger. Klein ist heute freier Autor und freier Dipl.-Ing. für Garten- und Landschaftsplanung, nimmt Lehraufträge an der TU und der TFH Berlin wahr und arbeitet mit dem Umweltkünstler Ben Wargin zusammen. Die Auseinandersetzung mit der Natur spiegelt sich auch in seinen Geschichten, vor allem in den Romanen Die Stadt der Tiere und Wie ein Baum (der ebenfalls in diesem Buch besprochen wird). Klein ist mehrfach ausgezeichnet worden, u. a. mit dem Alfred-Döblin-Stipendium, dem Umweltmedienpreis der Stadt Waiblingen und der Luxemburger Autorenresidenz „Struwelpippi“.
4. Allgemeine Einordnung
In seinem Roman Wie ein Baum verbindet Martin Klein geschickt verschiedene Themen und Erzählformen. Zunächst handelt es sich um eine Geschichte über Natur und Umwelt, die verbunden mit dem Fantasy-Element, dass ein Mensch mit Pflanzen kommunizieren kann und sich ihnen auch körperlich annähert, eine neue Sichtweise auf unsere irdischen Mitbewohner ermöglicht: Auch Pflanzen sind Lebewesen, die wie wir Bedürfnisse und einen eigenen „Charakter“ haben. Hier spiegeln sich die berufliche Neigung und Erfahrung des Autors wider. Die Aufzählungen der Pflanzen und die Erläuterungen im Roman legen eine fächerübergreifende Behandlung im Deutsch- und Biologieunterricht nahe. Neben der Frage, ob Florian sich vollständig in einen Baum oder doch wieder in einen „normalen“ Menschen verwandelt, treiben auch die spannenden Elemente einer Kriminalgeschichte die Handlung voran und animieren die Schüler zum Weiterlesen. Mit dem Detektiv Felix Mahlow schafft Martin Klein eine recht gelungene Parodie auf den harten US-Privatdetektiv der 1930er/40er Jahre wie Raymond Chandlers Philip Marlowe oder Dashiell Hammetts Sam Spade. (Den Schülern könnten hierzu Bilder von Humphrey Bogart in seiner Rolle als Philip Marlowe oder auch entsprechende „Engagierungsszenen“ aus den Marloweoder Spade-Filmen gezeigt werden.) Ansprechend dürfte der Roman schließlich auch als Freundschafts- und Familiengeschichte sein. Die feste und vorurteilsfreie Freundschaft zwischen Meike und Florian ist vorbildhaft. Auch die allmähliche Annäherung der beiden unterschiedlichen Brüder Florian und Kevin interessiert die Schüler und bringt sie zum Nachdenken über ihr Verhältnis zu den eigenen Geschwistern.
5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten
Martin Kleins Roman besteht aus vier Teilen, die wiederum in Kapitel gegliedert sind und je eine Stufe von Florians Veränderung bzw. Rückverwandlung beschreiben. Die auf über 300 Seiten erzählten Ereignisse erstrecken sich über einen Zeitraum von einigen Wochen (vom Schulbeginn am Ende der Sommerferien bis zu den Herbstferien). Die Erzählweise ist auktorial, oft nähert sich der Erzähler allerdings Florians Perspektive an. Besonders in den Dialogen der jugendlichen Romanhelden verwendet Martin Klein eine z. T. sehr saloppe Sprache (vgl. z. B. S. 51, 98, 119, 231), die etwa der Alltagssprache der Schüler entspricht und von ihnen daher leicht verstanden wird. Die Ausdrucksweise eines Fernsehreporters (S. 143 –145) ist eine parodistische Ansammlung von Pseudo-Jugendsprache, saloppen Worthülsen und manipulierenden Verkürzungen. Hier böte sich eine Analyse der (Jugend-)Mediensprache an. Ansonsten ist der Roman – vielleicht mit Ausnahme der Ausführungen über Bäume und Zimmerpflanzen – auch für jüngere Schüler gut verständlich. Lediglich vereinzelt müssten evtl. Begriffe erklärt werden (etwa das Gartengerät „Schuffel“, S. 208, oder „witschen“, S. 274, für „schlüpfen, huschen“).
6. Didaktische Anregungen
Für viele Kinder dürfte die Lektüre von Wie ein Baum die erste Erfahrung mit einem so umfangreichen Werk sein. Gerade leseschwächeren Schülern, die von den über 300 Seiten des Romans abgeschreckt und verängstigt werden könnten, sollte man im Unterricht Hilfen anbieten, die das häusliche Lesen begleiten und motivieren. In diesem Zusammenhang wäre etwa an einen „Seitenmesser“ – eine Wandzeitung, auf der jeder einträgt, wie viele Seiten er in einer Woche gelesen hat – zu denken. Die gemeinsame Lektüre im Unterricht oder eine Vorlesestunde des Lehrers könnten ebenfalls sinnvoll sein. Besonders bei jüngeren Klassen empfiehlt es sich, ein Lesetagebuch führen zu lassen. Hier können die Schüler neben den im Unterricht erarbeiteten Aspekten auch eigene Gefühle und Gedanken aufschreiben. Das Lesetagebuch kann so zu einer persönlichen Auseinandersetzung mit dem Roman führen, aber auch für den Unterricht anregende Impulse geben. Sehr wichtig und lohnenswert ist eine Auseinandersetzung mit den Figuren des Romans. Vor allem die Hauptfigur Florian sollte man genau charakterisieren und herausarbeiten, wieso er sich immer mehr in einen Baum und wieder zurück verwandelt. Dabei könnten die Schüler (auch unter Rückgriff auf ihr Lesetagebuch) über die Vor- und Nachteile der neuen Fähigkeiten und Eigenschaften diskutieren. Neben dem Protagonisten gibt es weitere „merkwürdige“ Figuren in dem Roman: Im Therapiezentrum lernt Florian den „Terminator“, „Ricky Jackson“ und das Mädchen Berit kennen. Um sich diesen zu nähern, erstellen die Schüler in Gruppenarbeit Porträts der zwei Jungen und stellen ihre Ergebnisse vor. Sind die beiden wirklich „verrückt“? Berit hat ähnliche Eigenschaften wie Florian: Sie kann mit Hunden sprechen und ähnelt einem solchen immer mehr. Woran erkennt Florian das? Wie reagiert er darauf? (In diesem Zusammenhang können auch entsprechende Stellen aus den Büchern von Hugh Lofting um den Tierarzt Dr. Dolittle vergleichend herangezogen werden.) Florians Verwandlung hat auch Auswirkungen auf seine ganze Familie und sein Umfeld. Wie verhalten sich etwa seine Eltern – sowohl zueinander als auch zu ihrem Sohn – vorher, wie währenddessen und wie danach? Evtl. können die Schüler hier auch eigene Erfahrungen einfließen lassen und das Elternverhalten kritisch hinterfragen. Die Kontrastfigur zu dem Ehepaar Erdmann ist Meikes Vater als (scheinbar) unangepasster Achtundsechziger mit langen Haaren, einer Cannabispflanze in der Wohnung usw. Ausgehend von einer Diskussion, welche Vaterfigur die Schüler lieber hätten, könnte man die Väter von Florian und Meike (und evtl. auch Professor Bayer) genauer analysieren. Die Ergebnisse werden als Gegenüberstellung an der Tafel festgehalten und dienen als Grundlage für ein Unterrichtsgespräch über Väter- und Elternverhalten. Auch das Thema Freundschaft lässt sich an der Beziehung zwischen Florian und Meike erarbeiten. Was gehört zu einer wahren Freundschaft? Wie verhalten sich die beiden zueinander? Verbindet sie mehr als nur freundschaftliche Gefühle, wie der Gummibaum vermutet? Eine interessante Figur ist schließlich auch der Privatdetektiv Felix Mahlow, der in seiner Erscheinung und seinem Verhalten vor seinem Auftraggeber die Romanund Filmfigur Philip Marlowe imitiert. Neben einem Vergleich der beiden Figuren kann auch die Diskrepanz herausgearbeitet werden, die zwischen Mahlows aufgesetztem Auftreten und seinem eigentlichen Charakter besteht. Neben Menschen spielen auch Pflanzen in dem Roman eine wichtige Rolle. Indem Florian sie reden hört oder sich mit ihnen unterhält, bekommen sie individuelle Züge. So trifft er auf eine alte Eiche und einen Eichensämling, die sich politisch äußern. (Bei der Analyse sollte auf den historischen Hintergrund ihrer Denkweisen eingegangen werden.) Neben den Pflanzen in Florians Zimmer und Garten ist besonders auch der kleine Gummibaum hervorzuheben. Am Ende des Romans wird er in Gomera angesiedelt. Die Schüler können in einem fiktiven Gespräch zwischen dem Neuling und den einheimischen Bäumen, die jetzt um ihn herum wachsen, dessen Werdegang rekapitulieren. Ebenso könnte sich eine Unterhaltung um Florian drehen; eine konkrete Unterrichtsstunde dazu wird im Folgenden skizziert.
Konkretes Unterrichtsbeispiel
In dem nun beschriebenen Unterrichtsbeispiel können die Schüler anhand eines Rollenspiels sowohl ihre im Unterricht erworbenen Kenntnisse des Romans als auch ihre eigene Phantasie einbringen. Zudem wird durch das Rollenspiel die Fähigkeit des freien Sprechens eingeübt und dem „Spieltrieb“ besonders der jüngeren Schüler Rechnung getragen.
- Einstieg
Die Schüler beantworten als Einstieg zu einer Overhead-Projektion des Titelbildes folgende Fragen: Wer ist hier dargestellt? Wie wirkt Florian? Warum hat er eine so enge Beziehung zu Bäumen, besonders zu dem kleinen Gummibaum? - Erarbeitungsphase
Der Lehrer schreibt die nun zu bearbeitende Frage an die Tafel: „Was hält wohl der kleine Gummibaum von Florians Rückverwandlung und wie stehen eurer Einschätzung nach die anderen Bäume, die den Jungen nicht kennen, dazu?“ Die Klasse wird per Los in zwei Gruppen eingeteilt; eine soll sich mit der Meinung des kleinen Gummibaums beschäftigen, die andere mit den Auffassungen der benachbarten Bäume auf Gomera. Hierbei greifen die Schüler auf die entsprechenden Textstellen, ihre Lesetagebucheinträge sowie ihre Phantasie zurück. - Präsentation
Rollenspiel In einem Rollenspiel unterhalten sich anhand der erarbeiteten Ergebnisse Vertreter der Gruppen, die den Gummibaum und seine Nachbarn verkörpern, über Florians Rückverwandlung. - Festigungsphase
Während des Rollenspiels notieren sich die zuschauenden Schüler die von den „Bäumen“ vorgebrachten Gründe, weshalb sie Florians Rückverwandlung gutheißen oder bedauern. Die Ergebnisse werden an der Tafel festgehalten. - Schlussdiskussion
In einer Schlussdiskussion bezieht die Klasse abschließend nochmals Stellung zu Florians Veränderung und Rückverwandlung.
empfohlen von Volker Krischel