Der Mann im Feuer. Jugendbuchempfehlung
Willi Fährmann:
Der Mann im Feuer
1. Bibliografische Angaben und Lesestufe
- Willi Fährmann: Der Mann im Feuer. Würzburg: Arena, 2005, 312 S.
- Lesestufe: 8.–10. Klasse
2. Inhaltsangabe
Die Hauptperson des Romans, der 15-jährige Christian Fink, wächst mit seiner Mutter, die als Magd auf einem Gestüt arbeitet, seiner Schwester und seinem Stiefvater in wenig zukunftsträchtigen Verhältnissen im politisch unruhigen Deutschland der 1930er Jahre auf. Er wird im Dorf gehänselt, fühlt sich als Fremdling und wartet sehnsüchtig auf eine Gelegenheit, sein Leben an einem anderen Ort neu zu beginnen. Diese bietet sich ihm bald: Mit Martin Hellmann, einem Familienfreund, möchte er losziehen und Ziegler werden. Auf dessen Anraten erzählt die Mutter ihrem Sohn, warum er häufig als „Bastard“ beschimpft wird: Er ist ein uneheliches Kind, das sie nach einer Vergewaltigung zur Welt gebracht hat. Zufällig erfährt Christian, dass sein leiblicher Vater der Zieglermeister Corbes ist, mit dem er und Hellmann zur Saisonarbeit ins Ruhrgebiet fahren wollen. In Christian wächst Wut, und obwohl seine Sehnsucht nach Vergeltung immer größer wird, unternimmmt er zunächst keinen Racheversuch, weil Hellmann ihm im christlichen Sinne zur Vergebung rät. Das Leben als Ziegler ist hart, vor allem da die Arbeiter unter hohem Druck stehen, einen Auftrag bis Saisonende zu erfüllen. Christian findet aber auch Freunde und verliebt sich. Seine Schwester Anna stößt als Köchin zu den Zieglern, wenngleich sie jede Gelegenheit nutzt, ihre technischen Talente zu beweisen, bis sie auch wirklich eine Möglichkeit findet, ihren Traum – eine Ausbildung zur Technikerin – wahrzumachen. Obwohl sich Christian eine Gelegenheit bietet, Corbes in eine tödliche Falle zu locken, verzichtet er auf Rache. Sein Vater gibt sich schließlich als dieser zu erkennen und verpflichtet sich, seinem Sohn den Besuch einer Zieglerschule zu ermöglichen.
3. Kurzinformationen zum Autor
Willi Fährmann wurde 1929 in Duisburg geboren. Er wollte eigentlich Förster werden, erlernte dann aber zunächst das Maurerhandwerk. Sein Engagement in einer katholischen Jugendbewegung weckte in ihm den Wunsch, mit Menschen zu arbeiten. In dieser Zeit hatte er auch bereits erste schriftliche Erfolge. Er holte an der Abendschule die Qualifikation zum Studium nach, studierte an den Pädagogischen Hochschulen in Oberhausen und Münster und arbeitete als Lehrer und Schulrat. Er ist verheiratet und Vater. Seit 1988 ist Willi Fährmann im Ruhestand und lebt als freier Schriftsteller in Xanten.
4. Allgemeine Einordnung
Der Mann im Feuer erzählt vom politischen Umschwung in Deutschland um 1932. Die Arbeitslosigkeit von fast sechs Millionen Menschen, die Wirtschaftskrise und die Armut werden genauso deutlich dargestellt wie der Aufstieg Adolf Hitlers und erbitterte Kämpfe zwischen Links- und Rechtsparteien. Fährmann hat hier sorgfältig recherchiert, so dass es sich um echte historische Aufarbeitung handelt. Mit dem Geschichtslehrer sollte vorab geklärt werden, inwieweit das Thema schon behandelt worden ist. Die Schüler sprechen im Unterricht vielleicht auch die Konsequenzen des Zweiten Weltkriegs an; insofern sollte man sich als Lehrer auf solche Fragen einstellen und vorbereiten. Abgesehen von den politischen Verhältnissen erhält der Leser auch Einblick in die einfachen Verhältnisse und die schwierigen Bedingungen einer Zieglerkolonne. Der Ort des Geschehens ist der Freistaat Lippe in der Westfälischen Tieflandbucht zwischen Lippstadt und Paderborn.
5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten
Der über 300 Seiten lange Roman erzählt nicht nur die Geschichte der Hauptfigur Christian, sondern beschreibt noch zahlreiche andere Schicksale, die zum Teil in Rückblenden erzählt werden. Der Lesefluss wird dadurch jedoch nicht gebremst, das lebendige Porträt der Zeit fördert vielmehr das Leseinteresse. Es wird beispielsweise von zwei Söhnen der Gestütsbesitzer erzählt, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. Natürlich geht es auch um Christians Mutter Lena, ihre Vergewaltigung und Schwangerschaft. Dass Christians Großvater seine schwangere Tochter – aus heute unverständlichen – Gründen verstößt, gibt Einblick in die religiösen Verhältnisse. Ebenso wenig nachvollziehbar erscheint das ambivalente Verhältnis zwischen der Ehefrau Hellmanns und den Dorfbewohnern: Sie leistet Nachbarschaftshilfe, wird aber als Katholikin in einem evangelischen Ort abgelehnt. Nicht zuletzt geht es auch um Christians Schwester Anna, die sich selbstbewusst um ihren Traumberuf bemüht. Ein wichtiges Symbol in dem Roman ist ein am Himmel fliegender roter Falke. Er erscheint Christians Mutter zum ersten Mal bei der Vergewaltigung und im Verlauf der Handlung immer wieder dann, wenn es ihr körperlich oder seelisch schlecht geht, sei es bei einem schweren Pferdeunfall oder als sie ihrem Sohn seine uneheliche Herkunft offenbart. Interessanterweise geht dieses Bild auch auf Christian über, der dann ebenso den roten Falken in Situationen der Gefahr erkennt. Bei ihm weitet sich das Symbol zum Rachegefühl aus. Besonders angenehm erscheint in Hinblick auf Christians Entwicklung, dass er nicht zum Überhelden mutiert und am Ende des Romans auch kein reifer Mann geworden ist, der alle Probleme gemeistert hat. Er verkörpert vielmehr das Bild eines nach Antworten auf die Fragen des Lebens suchenden Jugendlichen.
6. Didaktische Anregungen
Bei der Behandlung der Lektüre im Unterricht darf nicht vergessen werden, dass Vergewaltigung und Rache höchst sensible Themen sind, denen man sich behutsam im freien Unterrichtsgespräch nähern muss. Der Roman sollte deshalb auch nicht vor der 8. Jahrgangsstufe behandelt werden. Der Mann im Feuer bietet sich für einen kreativen und fächerübergreifenden Unterricht mit handlungs- und produktionsorientierten Aspekten an: Liebe und Sexualität sind in der Mittelstufe meistens Themen in den Lehrplänen der Fächer Religion und Ethik, so dass auch hier die zerstörerische Seite der Sexualität zur Sprache kommen könnte. Vergeltung und Vergebungsbereitschaft (siehe konkretes Unterrichtsbeispiel unten) sowie das schwierige Verhältnis der christlichen Konfessionen im Vergleich zu heute sind ebenfalls Themen, die sich für eine Zusammenarbeit mit dem Religionsunterricht eignen. Die Frage, wie Hitler 1933 Reichskanzler werden konnte, sollte in Absprache mit dem Geschichtsunterricht erörtert werden. Fährmann nennt hier ganz konkrete Daten, wie z. B. die Harzburger Front 1931, womit sich eine Brücke zwischen der anschaulichen Betrachtung eines historischen Stoffes im Literaturunterricht und dem Fakten aufarbeitenden Geschichtsunterricht schlagen lässt. Interessant wäre auch ein Vergleich der Arbeitsbedingungen damals und heute (z. B. in Form von Referaten oder einer Ausstellung). Darüber hinaus empfehlen sich eine Buchbesprechung für die Schülerzeitung oder die Gestaltung einer Werbeanzeige in einer ausgewählten Buchhandlung.
Konkreter Unterrichtsvorschlag
Wie schwer es für einen heranwachsenden jungen Mann sein muss, die Vergewaltigung seiner Mutter zu verarbeiten und dabei Gefühle der Vergebung statt Rache zu entwickeln, kann eine Unterrichtseinheit über Vergebung und Barmherzigkeit zeigen, die Parallelen zur Parabel vom verlorenen Sohn (Lk 15, 11–32) zieht.
1. Hinführung/Einstieg
Wenn man über einen visuellen Impuls in das Thema einsteigen will, bietet sich das Bild Rückkehr des verlorenen Sohns (1668) des niederländischen Künstlers Rembrandt an. Anhand des Kunstwerkes können die verschiedenen Gestalten, Farbgebungen und Gestiken betrachtet und anschließend die Parabel vom verlorenen Sohn mündlich erarbeitet werden (dies sollte möglich sein, da die Parabel eine der bekanntesten des Neuen Testaments ist). In der folgenden Unterrichtseinheit wird der Text des Liedes No son of mine der englischen Popgruppe Genesis (aus dem Album We can´t dance, 1991) näher betrachtet, insofern kann man alternativ auch gleich mit dem Lied beginnen. Da es sich um einen englischen Text handelt, sollte vorher mit dem Englischlehrer geprüft werden, ob sich der Einsatz in der Klasse eignet und ob ggf. Vokabeln geklärt werden müssen. Es geht bei der Behandlung des Liedes aber nicht um eine analytische Textarbeit, sondern um die Sensibilisierung für die Themen Isolation, Gefühlsverletzung und Wunsch nach Aussprache. Das Lied handelt von einem jungen Mann, der seine Heimat verlässt, weil er seinen die Ehefrau verprügelnden Vater nicht mehr ertragen kann. Er kommt zurück, um mit seinem Vater über die Vergangenheit zu reden, doch dieser will keine Aussprache, möchte seinen Sohn nicht mehr sehen und verleugnet ihn sogar.
2. Darbietung
Nun wird der Text aus Lk 15, 11–24 bzw. 32 gelesen.
3. Erarbeitung
An die Klasse ergeht der Arbeitsauftrag, in Stillarbeit den Schluss des Genesis-Textes mit dem der Parabel zu vergleichen und dabei speziell die Vaterfigur zu betrachten.
4. Festigung
Es wird erarbeitet, dass der Vater im Liedtext auch nicht im geringsten Maße an einer Versöhnung interessiert ist, sondern sich von seinem Sohn noch mehr abwendet, indem er ihn sogar verleugnet. Es kommt also weder zu einer Aussprache noch zu einer Vergebungshaltung. Der Schluss nach Lukas zeigt deutliche Unterschiede: Der Vater bleibt nicht stehen, sondern läuft dem Sohn entgegen, umarmt und küsst ihn. Er freut sich und lässt dem Sohn sofort ein Ehrenkleid holen, steckt ihn einen Ring an den Finger und veranstaltet ein großes Fest. Man sieht also schnell, dass in diesem Fall der Vater sofort, vollkommen und bedingungslos vergibt. Der Lehrer kann auch darauf hinweisen, dass der Text in der neueren theologischen Literatur vermehrt als Parabel vom barmherzigen Vater bezeichnet wird.
5. Vertiefung
Im weiteren Verlauf soll nun der Blick auf Christina Fink gerichtet und gefragt werden, in welcher Situation er sich mit seinem Vater befindet und wer wem vergeben müsste. Hier bietet sich ein freies Unterrichtsgespräch an.
6. Hausaufgabe
Als Hausaufgabe sollen die Schüler erarbeiten, welche Rolle Martin Hellmann in Bezug auf die Vergebung übernimmt.
Empfohlen von Michael Partes