Adam und Lisa. Jugendbuchempfehlung
Myron Levoy:
Adam und Lisa
1. Bibliografische Angaben und Lesestufe
- Myron Levoy: Adam und Lisa. München: dtv junior, 2005, 240 S. (übersetzt von Günther Ohnemus, Originaltitel: Pictures of Adam)
- Lesestufe: 9. Klasse
2. Inhaltsangabe
Adam, ein neuer Mitschüler, der aus einer Förderklasse stammt, soll im Biologiekurs neben der 14-jährigen Lisa sitzen. Sofort fällt Lisa sein merkwürdiges Verhalten auf: Er stottert, starrt nur teilnahmslos auf den Tisch und schlägt im Buch nicht einmal die richtige Seite auf. Als Lisa ihn darauf hinweist, erklärt Adam, dass Hämoglobin, das Unterrichtsthema, für ihn nicht von Bedeutung sei, da man auf seinem Heimatplaneten Wega X unter Wasser lebe. Obwohl Lisa von dieser merkwürdigen Antwort irritiert ist, fühlt sie sich zu Adam hingezogen. Am Nachmittag geht sie in die Stadtbibliothek ihres Heimatortes Lake Hills (Stadt im Bundesstaat New Jersey, etwa eine Autostunde von New York entfernt), um dort Unterlagen für einen Fotowettbewerb abzuholen, aber auch, um Adam wiederzusehen. Adam erzählt ihr vieles über den Planeten Wega X und verspricht, ihr das Raumschiff zu zeigen, mit dem er auf die Erde gekommen sei. Also besucht Lisa Adam am nächsten Tag nach der Schule, wo sie seine Mutter und seine kleine Schwester kennenlernt. Adams Familie lebt außerhalb der Stadt in sehr ärmlichen Verhältnissen. Haus und Hof sind heruntergekommen, die Familie besitzt kein fließendes Wasser und die Toilette befindet sich in einem Klohäuschen im Freien. Lisa spürt dennoch eine Herzlichkeit und Wärme, die besonders von Adams Mutter ausgeht. Ihr kommt die Idee, eine Fotoreihe über Adams Familie und Haus für den Wettbewerb der Stadtbibliothek zu erstellen, an dem sie teilnehmen will, weil sie davon träumt davon, Bildjournalistin zu werden. Adam zeigt Lisa auf einem Hügel außerhalb des Hofes das ungewöhnliche Raumschiff, eine Halbkugel aus Metall, die aus der Erde ragt. Obwohl Lisa diese Entdeckung ungewöhnlich findet, glaubt sie nicht an den Planeten Wega X. Bei Adams Gegenbesuch wird Lisa sehr deutlich, wie aufgeräumt und wohlhabend ihr eigenes Zuhause ist. Lisas Mutter, die offensichtlich unter Depressionen und Alkoholsucht leidet, ist von dem ärmlichen Jungen, den ihre Tochter mitgebracht hat, schockiert und lässt Adam dies auch sehr deutlich spüren. Es kommt zum Streit zwischen Mutter und Tochter. Lisa stellt sich auf Adams Seite und trifft sich regelmäßig mit ihm. Einige Tage später erstellt Lisa die Fotos für den Wettbewerb in und um Adams Haus und ist von den Motiven fasziniert. Als sie entsetzt feststellt, dass Adam ihrer Mutter einen Briefbeschwerer gestohlen hat, trennt sie sich von ihm, der mittlerweile ihr fester Freund geworden ist. In den nächsten Tagen und in langen Gesprächen mit ihrer besten Freundin Kim, Mrs. Gladdings, der Förderschullehrerin von Adam, und seiner Mutter wird Lisa aber klar, dass sie Adam nicht vergessen möchte. Sie erfährt die Gründe für sein merkwürdiges Verhalten: Adam, früher ein aggressiver Junge, ist von seinem Vater oft brutal mit einer Kette misshandelt worden. Die Halbkugel hinter dem Haus ist nicht etwa ein Raumschiff, sondern eine Destillieranlage zur illegalen Whiskeyherstellung, die der Vater wegen einer Kontrolle vergraben hat. In Gesprächen mit Adam macht Lisa ihm klar, dass der Planet Wega X nur in seiner Fantasie existiert und er diese Idee aufgeben soll. Als Adam in der Bibliothek provoziert wird, reagiert er aggressiv und zertrümmert einen Stuhl. Lisa greift vermittelnd ein und stellt Adam zur Rede. Er erzählt, dass ihn die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen Lisa und ihm belasten. Daraufhin geht Lisa mit Adam nackt in einem See baden und macht ihm so deutlich, dass sie eigentlich genau gleich sind: „Du bist das, was hier im See ist. Und ich bin das, was hier im See ist. Der Rest ist Schmarren. Verstehst du?“ (S. 226) Nach dieser Aussprache sind die beiden wieder ein Paar. Lisa gewinnt im Fotowettbewerb den zweiten Platz, ihre Beziehung zu den Eltern normalisiert sich und auch die Liebe zu Adam wird harmonisch. Am Ende der Erzählung wird Adams Mutter gezwungen, in ein soziales Wohnungsprojekt zu ziehen. Das heruntergekommene Haus wird abgerissen und Adam äußert gegenüber Lisa die Hoffnung, dass damit auch seine Alpträume vom Vater verschwinden könnten. Lisa ist stolz, dass sich Adam ihr so öffnet und weiß, dass die beiden zumindest für diesen Sommer eine ganz normale Teenagerbeziehung führen können.
3. Kurzinformationen zum Autor
Myron Levoy, geboren 1930, wuchs im ethnisch gemischten Stadtteil Queens in New York als Sohn eines jüdischen Emigranten aus Hannover und einer ungarischen Mutter auf. Er studierte zunächst Ingenieurwissenschaften und war in der Raumfahrttechnik beschäftigt, widmete sich dann jedoch mehr und mehr der Jugendschriftstellerei. In seinen Jugendbüchern thematisiert er zumeist die Probleme des Erwachsenwerdens und der Identitätsfindung von gesellschaftlichen Randfiguren. Die Erzählung Adam und Lisa ist somit nicht nur eine Geschichte über einen von seinem Vater misshandeltem Jugendlichen und eine Teenagerliebe, sondern auch eine Auseinandersetzung mit den sozialen Unterschieden in der Gesellschaft und den Problemen, die sich für Lisa und Adam im Alltag daraus ergeben; so heißt es im Klappentext der amerikanischen Originalausgabe: „Pictures of Adam is a perceptive look at the bittersweet friendship, and the special love, shared by two teenagers from different worlds.“ Seine Bekanntheit in Deutschland verdankt Myron Levoy vor allem der Erzählung Der gelbe Vogel, die u. a. mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde.
4. Allgemeine Einordnung
Myron Levoys Adam und Lisa eignet sich aus verschiedenen Gründen für den Einsatz im Deutschunterricht der 9. Klasse: Aus ihrer eigenen Lebenswelt kennen die Schüler zumeist Außenseiter, die wie Adam aufgrund ihres Verhaltens oder Aussehens einfach „abgestempelt“ werden. Nun erkennen die Schüler, dass Adams Gedanken- und Gefühlswelt sehr komplex ist und die zunächst „verrückt“ erscheinenden Verhaltensweisen Ursachen in seiner Vergangenheit haben. Viele Schüler bewundern Lisas Reife, da sie sich mit einem oberflächlichen Eindruck nicht zufrieden geben will und Adam trotz der zu befürchtenden Ablehnung durch Kim und die anderen Mitschüler kennenlernen möchte. Weil sie eine für ihr Alter sehr feinfühlige Persönlichkeit ist, identifizieren sich auch die etwas älteren Schüler der 9. Klasse mit der 14-jährigen Lisa. Falls die Schüler die Lektüre vorbereitend alleine gelesen haben, kann man mit ihnen in einem Planungsgespräch die Themenschwerpunkte der Unterrichtsreihe festlegen. Hier nennen die Schüler zahlreiche Bereiche, die sie sehr interessieren und die die Besprechung gewinnbringend strukturieren können: das Verhältnis der Eltern von Lisa und Adam zu ihren Kindern, die Mädchenfreundschaft zwischen Kim und Lisa (besonders im 13. Kapitel), die Haltung von Kims Freund Russell, dem „coolen Supertypen“, zu einem Außenseiter wie Adam, die Fotografie als Hobby (bzw. die ästhetische Wahrnehmung der Welt aus der Sicht eines Künstlers, evtl. fächerübergreifend mit dem Fach Kunst zu bearbeiten), die beschriebenen Lehrertypen (Mrs. Felts und Mrs. Gladdings), die sozialen Unterschiede in einer Teenagerbeziehung und das offene Ende, d. h. die Zukunft der Liebe zwischen Adam und Lisa. Besonders die Misshandlungen durch den Vater rufen bei vielen Schülern Entsetzen und Interesse hervor. Das Thema kann im Unterricht vertieft werden, indem man z. B. Sachtexte über Rechte von Kindern und Jugendlichen oder andere fiktionale Texte dazu liest.
5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten
Adam und Lisa umfasst 240 Seiten, die in 22 Kapitel eingeteilt sind. Die Handlung wird chronologisch von einem Ich-Erzähler aus Lisas Sicht erzählt. Insofern bietet es sich im Unterricht an, die Perspektiven der anderen Personen zu thematisieren. Adams Tagebuch oder Dialoge (zum Beispiel zwischen Lisas Eltern oder Kim und Russ) könnten an mehreren Stellen zu einem Rollenwechsel zwingen. Die Handlung hat zwar mehrere Stränge (Beziehung zu Adam, Streit mit den Eltern, Fotowettbewerb, …), ist aber leicht nachvollziehbar. Die Sprache ist ebenfalls sehr verständlich, Satzbau und Stil sind eher schlicht. Das Buch kann also in allen Schulzweigen problemlos gelesen werden.
6. Didaktische Anregungen
Unterrichtseinstiege
Falls die Schüler das Buch noch nicht gelesen haben, kann man zunächst mit einer Bildmeditation einsteigen: Das Cover wird auf eine Folie kopiert und die Schüler erhalten einige Minuten Zeit, sich das Bild anzuschauen. Dann sollen sie möglichst genau (!) beschreiben, was sie sehen. Zunächst fallen den Schülern dabei besonders der Fotoapparat des fröhlich wirkenden Mädchens, der etwas unsichere Blick des Jungen und die Zeichnungen, die an Planetenlaufbahnen erinnern, auf. Danach wird gemeinsam der Klappentext gelesen (auch auf eine Folie opiert). Die Schüler können jetzt den Personen Namen zuordnen und auch erkennen, welche Rolle die Planeten auf dem Bild spielen. Nun sollen Vermutungen angestellt werden, wie die Handlung wohl weitergehen könnte. Dies schafft Lesemotivation, da die Schüler wissen möchten, welche ihrer Ideen der Autor ausgewählt hat. Danach oder alternativ kann das erste Kapitel gemeinsam gelesen werden. Die Schüler sammeln (in Arbeitsgruppen oder im Unterrichtsgespräch), was sie über Adam und Lisa erfahren. Hierbei sollte bei Lisa besonders auf ihre Haltung gegenüber Vorverurteilungen eingegangen werden („Menschen sind Menschen.“, S. 7). In leistungsstarken Klassen kann die Erarbeitung der Lektüre nun in Gruppen (oder Paaren) erfolgen. Jede bearbeitet einen Aspekt für eine Präsentation oder Ausstellung auf. Mögliche Themen sind: Lisas Verhältnis zu ihrem Vater/ihrer Mutter/Kim, Adams Idee von Wega X, Adams Vater, die beiden Lehrerinnen und ihr Umgang mit Adam, die Bedeutung der Fotografie für Lisa, Russells Verhalten gegenüber Adam etc. Alle Arbeitsgruppen sollen zunächst Textstellen zu ihrem Thema suchen und diese dann auswerten. In schwächeren Klassen bzw. Gruppen kann der Lehrer unterstützende Arbeitsfragen hinzugeben.
Die Gedanken- und Gefühlswelt von Adam
Auf Adam und seine Herkunft von dem Planeten Wega X reagieren die meisten Schüler zunächst mit Unverständnis. Nach den ersten zwei Kapiteln kommt die Klasse oft einstimmig zu dem Ergebnis, dass dieser Junge „verrückt“ sein muss, und unterstützt Kims Meinung, dass er gefährlich sein könnte. Was Adam auf Lisa und die Mitschüler ungewöhnlich wirken lässt, wird an der Tafel in die linke Spalte einer Tabelle eingetragen. Dazu soll jeder Schüler in einer Stillarbeitsphase jeweils ein Kapitel durcharbeiten und markieren, was Adam von den anderen Jungen unterscheidet. In der rechten Spalte muss nun beantwortet werden, warum Adam „anders“ ist. Dass er beim Duschen nach dem Schulsport sein T-Shirt nicht auszieht, erscheint beispielsweise seltsam, hat aber einen Grund: Er hat Narben auf dem Rücken, die niemand sehen soll. Das Ergebnis der „Persönlichkeitsstudie“ über Adam kann dann sein, dass er eigentlich professionelle Hilfe braucht, um z. B. über die furchtbaren Erinnerungen an seinen Vater hinwegzukommen. Adams Situation verstehen die Schüler noch besser, wenn sie einige Situationen, die im Buch von Lisa geschildert werden (z. B. Lisas erster Besuch bei Adam oder dessen Gegenbesuch), aus Adams Sicht erzählen und in innere Monologe Adams, Tagebucheinträge oder Gespräche mit seiner Mutter umschreiben. Abschließend können einzelne Schüler Bücher präsentieren, die sich ebenfalls mit Misshandlungen oder auch Missbrauch im Elternhaus beschäftigen. Denkbar ist hier z. B. Geht’s uns was an? (Volker Degener), Nele (Margret Steenfatt), Messer aus Papier (Marc Talbert) oder Herzsprung (Brigitte Blobel). Auch in dem Jugendbuch Der gelbe Vogel von Levoy geht es um die psychischen Folgen von Gewalt.
Das offene Ende
Am Ende des Buches scheinen sich die Probleme von Lisa aufzulösen: Adam öffnet sich ihr, ihre Mutter nähert sich ihr wieder an, die Eltern gehen zur Erziehungsberatung und Lisa ist beim Fotowettbewerb sehr erfolgreich. Dies erscheint etwas zu einfach; allerdings schränkt Lisa selbst richtig ein: „Er [Adam] war ein Teil meines Lebens geworden und ich ein Teil seines Lebens. Für jetzt. Für diesen Sommer.“ (S. 232). Lisa redet also keinesfalls von der Liebe ihres Lebens. Diese ungewisse Zukunft motiviert die Schüler, darüber zu spekulieren, wie es mit Lisa und Adam weitergehen könnte. Hierzu können sie eine Geschichte schreiben, die fünf Jahre später spielt und „Adam und Lisa heute“ heißt. Die Schüler werden unterschiedliche Ideen haben: Einige werden Adam und Lisa noch als Liebespaar sehen, andere glauben vielleicht, dass sich die beiden in Freundschaft getrennt haben; es ist aber auch möglich, dass Adam in einigen Geschichten mit seiner Vergangenheit nicht zurecht gekommen und wieder aggressiv geworden ist. Eine einfachere Aufgabe wäre, einen Dialog zwischen Adam und seiner ehemaligen Lehrerin Mrs. Gladdings vorzuspielen. Adam trifft dabei seine Lehrerin nach fünf Jahren auf der Straße wieder und diese erkundigt sich nach seiner Beziehung zu Lisa. Nachdem die Schüler ihre Produkte (Geschichte oder Dialog) vorgestellt haben, sollen sie begründen, wie sie zu ihrer „Zukunftsprognose“ für Lisa und Adam gekommen sind. Diese Argumente werden gesammelt und gegeneinander abgewogen. Abschließend kann dann auch über Kims Äußerung diskutiert werden: „Du hast also eine Erfahrung gemacht. (…) Das ist keine große Sache. Es bleibt doch sowieso fast niemand mit dem zusammen, mit dem er mit vierzehn einmal gegangen ist. (…) Machen wir uns doch nichts vor.“ (S. 152)
empfohlen von Christiane Althoff