Ich bin der King von Günter Saalmann. Jugendbuchempfehlung
Günter Saalmann:
Ich bin der King
1. Bibliografische Angaben und Lesestufe
- Günter Saalmann: Ich bin der King. Ravensburg: Ravensburger Taschenbuch,1999, 288 S.
- Lesestufe: 8.–10. Klasse
2. Inhaltsangabe
Personen
- „Rex“ Kamentz: Ich-Erzähler, ca. 16–17 Jahre, guter Schüler, dessen Verhalten sich mit dem Abstieg der Familie radikal ändert
- Patricia und Herbert Kamentz: Eltern, „Wende-Verlierer“, untergeordnete Tätigkeiten, Arbeitslosigkeit, vergebliche Selbstständigkeitsversuche
- „Jabw“ (Jabwonski), „Die Schwarze“, Kevin, Danny: Clique „Die Kamolzen“, Bewohner von „Stalingrad“, eines Plattenbau-Neubauviertels einer Stadt in Ostdeutschland, starker Alkoholkonsum, provozierende Aktionen, latent gewalttätig
- von Rippersreuth: ehemaliger Kollege von Herbert Kamentz, Wende-Gewinner, Bus- und Fuhrunternehmer
- Beate von Rippersreuth: Tochter der Familie Rippersreuth, große Liebe von Rex Kamentz
Ort und Zeit
eine kleine bis mittlere Stadt in Ostdeutschland Nachwendezeit, Anfang bis Mitte der 1990er Jahre
Handlung
„Rex“ Kamentz ist ein Jugendlicher aus der ostdeutschen Provinz, der durch viele Umstände auf die schiefe Bahn gerät. Zu Beginn läuft alles scheinbar problemlos für Rex, er ist Bester seiner Klasse auf dem Gymnasium und wohnt in geordneten Verhältnissen. Dann wird sein Vater, der in der DDR in einem Rüstungsbetrieb gearbeitet hat, „abgewickelt“ und verliert seine Arbeit. Durch einige Verstrickungen und Schicksalsschläge muss die Familie ihr Einfamilienhaus räumen und in ein nahe gelegenes Plattenbauviertel, nach „Stalingrad“, ziehen. Damit verschlechtern sich nicht nur die Lebensumstände, sondern der Umzug ist zugleich mit einem großen Verlust an sozialem Prestige verbunden. Die Eltern versuchen sich in verschiedenen Berufen: einem Vertrieb für Kosmetika, einem Miettoiletten-Verleih und einer Finanzberatung – alles ohne Erfolg. Der Abstieg der Familie ist nicht zu bremsen. Währenddessen wechselt Rex die Identität. Er wird zum „Prolo von Stalingrad“. Nach einigen Widerständen schließt er sich den „Kamolzen“ an, einer Gruppe Jugendlicher, die durch exzessiven Alkoholkonsum und mit allerlei illegalen und zum Teil gefährlichen Aktionen versucht, die Zeit totzuschlagen und die Öffentlichkeit zu provozieren. Rex entwickelt sich mit der Zeit zum Kopf der Gruppe, indem er seinen ehemaligen Mitschüler Jabw aussticht. Mit dessen Freundin hat er auch sein erstes sexuelles Erlebnis. Parallel erzählt wird die Geschichte der Familie von Rippersreuth. Von Rippersreuth, einst Kollege des Vaters im Rüstungsbetrieb, ist ein Wende-Gewinner: Als Inhaber eines Busbetriebs erweitert er seine Firma nun um ein Taxi- und ein Fuhrunternehmen und steigt schließlich ins Immobiliengeschäft und in die Politik ein. Vor seiner Wandlung ist Rex in Beate von Rippersreuth verliebt und die beiden gelten als Paar. Durch den größer werdenden sozialen Abstand, aber auch durch Rex’ Identitätswandel entfernen sich sie sich voneinander, wobei Rex seine Gefühle für Beate nicht aufgibt. Diese lässt ihn jedoch kalt abblitzen. Als Rex und Jabw mit einem geklauten Auto ein Rennen veranstalten, drängen sie ihren Lateinlehrer von der Fahrbahn ab. Dieser wird verletzt und sein Auto erleidet Totalschaden. Er hat Rex am Steuer erkannt und zeigt ihn an, nachdem dieser eine Frist, sich selbst zu stellen, hat verstreichen lassen. Durch die Ermittlungen der Polizei fliegen die „Kamolzen“ auf. Rex steht bald ein Prozess bevor. Währenddessen versuchen Rex und Jabw, von Rippersreuth zu erpressen: Mehr oder weniger durch Zufall ist Rex auf die Spur einer illegalen Produktion und des illegalen Vertriebs von Knallkörpern gekommen. Daran ist auch ein ehemaliger Geschäftspartner des Vaters beteiligt, der diesen betrogen und so wesentlich zum Abstieg der Familie beigetragen hat. Es hat den Anschein, als sei von Rippersreuth der Drahtzieher hinter dem Knallkörper-Geschäft. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, kommen Rex und Jabw auf die Idee, Beate zu entführen. Dabei kommt es zu einer Vergewaltigung Beates durch Jabw. Als Rex Beate mit einem gestohlenen Auto zum Treffpunkt der Geldübergabe bringen will, wird er niedergeschlagen. Beate kann fliehen und Rex findet sich in Beates „Gefängnis“ (in seinem ehemaligen, nun leerstehenden Elternhaus) wieder. Dort wird er tagelang festgehalten, von von Rippersreuths Komplizen, wie er denkt, und hat Todesangst. Erst am Ende stellt sich heraus, dass es seine Eltern waren, die ihn eingesperrt hielten – sie waren ihm in dem gestohlenen Wagen gefolgt, um Dummheiten bis zu seinem Prozess zu verhindern. Zufällig haben ihn in seinem Versteck von Rippersreuths Komplizen gefunden, haben ihm aber keinen Schaden mehr zufügen können. Jabw wird tot auf einer Müllkippe gefunden, nähere Umstände seines Todes werden nicht erläutert.
3. Kurzinformationen zum Autor
Günter Saalmann, 1936 in Waldbröl im Oberbergischen geboren, verschlug es durch den Krieg nach Sachsen. Er studierte Slavistik/Russistik in Leipzig, bis er 1958 aus politischen Gründen exmatrikuliert wurde. Anschließend übte er verschiedene Berufe aus (Straßenbahnschaffner, Materialverbrauchsnormhilfssachbearbeiter, Schaufensterdekorateur). Das Schreiben begann Günter Saalmann mit Schlager- und Liedtexten für die Tanzmusikformation, in der er Posaune spielte. 1962 legte er die Berufsmusikerprüfung ab und spielte von da an auch Jazzmusik. Von 1973–1976 studierte er am Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher. Seitdem ist er freiberuflicher Schriftsteller. Seit 1978 tritt er zusammen mit dem Jazzgitarristen Helmut „Joe“ Sachse in einem musikalisch-literarischen Programm „Po(e)saunenstunde“ auf. In den Tagen der Wende war Günter Saalmann einer der Wortführer im Chemnitzer Neuen Forum. Den Schwerpunkt in Saalmanns Werk bilden zahlreiche Arbeiten für das Radio, besonders für den Kinder- und Jugendfunk, sowie Kinder- und Jugendbücher. Ich bin der King stand 1998 auf der Auswahlliste für den Deutschen Jugendliteraturpreis.
4. Allgemeine Einordnung
Ich bin der King spielt in der Wende- und Nachwendezeit und beschreibt eine Jugend in Ostdeutschland sowie die Jugendkultur der 90er Jahre (Auswüchse in Alkohol, Satanismus, Graffiti, Rechtsradikalismus als Reaktion auf Perspektivlosigkeit). Auch wenn das Buch einige jugendtypische Probleme vorstellt, hat es einen erkennbar ostdeutschen Hintergrund. Das kann möglicherweise für Schüler (und Lehrer), die mit den entsprechenden Umständen nicht vertraut sind, den Zugang zum Buch erschweren. Auf der anderen Seite ist die Auseinandersetzung mit unbekannten Verhältnissen auch sehr reizvoll. Empfehlenswert wäre es für Lehrer sich mit den Ereignissen der Wende, besonders aber mit deren Folgen vertraut zu machen: Zugewinn an individuellen Freiheiten, aber Zusammenbruch der industriellen Infrastruktur, Arbeitslosigkeit, Abwanderung. Diese Aspekte können einleitend zusammen mit den Schülern erarbeitet werden oder aber, was geeigneter erscheint, begleitend zur Lektüre des Buchs behandelt werden. Auf diesen zeitgeschichtlichen Hintergrund hinzuweisen ist ebenso wichtig wie darauf, dass viele der aufgezeigten Probleme (Identität, Adoleszenz) jugendtypisch und ohne den besonderen Zeithorizont zu verstehen sind. Einschränkend ist auf drei problematische Aspekte hinzuweisen:
- Ich bin der King ist nicht frei von Klischees, vor allem bei der Darstellung der Familie von Rippersreuth. Von der Einrichtung über die Lebensgewohnheiten (amerikanische Anreden) bis hin zu den kriminellen Machenschaften und die Verstrickungen in die Politik – von Rippersreuth ist in dieser Häufung des Schlechten mehr oder weniger ein Abziehbild des Wende-Gewinnlers. Die Figur wirkt nicht mehr unbedingt glaubhaft.
- Ähnlich sieht es auf der anderen Seite aus: Das Buch bietet eine Fülle an aktuellen und für die Zielgruppe interessanten Problembereichen, doch wird auch hier etwas viel des Guten getan. Perspektivlosigkeit, das Leben in Plattenbauten, Verstrickungen in der Rüstungsproduktion, Schulprobleme, Liebe und Sexualität, Armut, Skinheads und Rechtsradikalismus, Satanismus, Mobbing, Betrug, Computer, Splattermovies, Fernsehen – es wird praktisch kein Problembereich ausgelassen. Durch diese Überladung entsteht ebenfalls ein Glaubwürdigkeitsproblem. Zudem entsteht für den Unterricht das Problem der Auswahl.
- Der Schluss mit der Entführung und Vergewaltigung Beates und Jabws Tod wirkt stark überzeichnet und passt nicht recht zur restlichen Handlung.Das Buch sollte frühestens ab der 8. Klasse, besser noch in der 9. oder 10. Klasse behandelt werden.
5. Strukturelle und sprachliche Aspekte
Die Erzählung verläuft auf zwei Ebenen:
- Rex in der Gefangenschaft (Gegenwart),
- seine Geschichte, die sich über einige Monate erstreckt, in der Rückblende.
Beide Ebenen bewegen sich zeitlich allmählich aufeinander zu, wobei das Motiv und die Urheber der Gefangenschaft erst am Ende offenbart werden. Das macht die Geschichte erzähltechnisch sehr reizvoll und erzeugt Spannung beim Lesen, die auch auf jugendliche Leser ihre Wirkung nicht verfehlen wird. Die Sprache ist jugendgerecht und mit einigen Ausnahmen nicht maniriert-überzogen. Über weite Strecken ist das Buch sehr spannend geschrieben.
6. Didaktische Anregungen
Sowohl die weitgehend offene Erzählstruktur als auch die Fülle der angerissenen Problembereiche bieten zahlreiche Anhaltspunkte für den kreativen Umgang mit Ich bin der King.
Kreative Textarbeit
- Einführen einer „dritten Erzählebene“, etwa der der Eltern oder des Rentners aus dem 8. Stock: Wie erleben sie den Abstieg der Familie nach der Wende, die Jugendlichen im Viertel etc.? Was wird aus den anderen „Kamolzen“?
- Umschreiben und Neugestalten der Handlung, z. B.:
– Die Beziehung zwischen Rex und Beate ist trotz der widrigen Umstände stabil. --> Folgen für Rex bei den „Kamolzen“, Gruppenkonflikte etc., Folgen für Beate innerhalb der Familie
– Die verschiedenen Versuche des Vaters, geschäftlich auf die Beine zu kommen, gelingen. --> möglicher Einfluss auf das Verhalten und den Status von Rex
– Enttarnung der Machenschaften von Rippersreuths
– der weitere Lebensweg Rex’: Ausbildung/Studium, Computerspezialist (vielleicht in Westdeutschland --> Kontrast der Lebensumstände, Hin- und Hergerissensein, Identitätsprobleme - Fortführung der Handlung: Was wird aus den anderen „Kamolzen“?
Problembereiche
- Situation von Jugendlichen in Stadt-, Hochhaus- und Plattenbausiedlungen, Lebensumstände, Perspektiven, Wünsche, Träume --> Reportage/Fotoreportage
- die Geschichte einer Plattenbausiedlung --> Text/Reportage
- Jugendkriminalität, Strafmaß, Auswirkungen, evtl.: Jugendliche im Strafvollzug (schwierig durchführbar) --> Internet-/Zeitungsrecherche, Reportage, möglicherweise Einladen eines Sozialarbeiters aus dem Vollzug
- rechtsradikale Ansichten unter Jugendlichen allgemein bzw. an der Schule im Besonderen --> Recherche/Kurzvortrag/Umfrage
- Satanismus und Okkultismus unter Jugendlichen – Ursachen und Anziehungskraft --> Recherche/Kurzvortrag/Umfrage
- (für höhere Klassen:) Strukturprobleme in unserer Stadt --> Recherche/Bericht