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Cold Turkey von Angelika Mechtel. Jugendbuchempfehlung

Angelika Mechtel:

Cold Turkey

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Angelika Mechtel: Cold Turkey. Braunschweig: Schroedel, 2006, 190 S. (Textausgabe mit Materialien)
  • Lesestufe: 7./8. Klasse

2. Inhaltsangabe

Personen

  • Andy: zu Beginn der Handlung 16, am Ende 19 Jahre alt, Probleme in Elternhaus, Schule und Ausbildung, Drogensucht
  • Simone: seine Schwester, zu Beginn der Handlung 12, am Ende 15 Jahre alt
  • Eltern: Geschäftsleute, Inhaber eines Elektrogeräte-Einzelhandels
  • Michi: Freund von Andy, Dealer
  • Natalie: ca. 20 Jahre, dealt, drogenabhängig, Andys Geliebte
  • Mucki, Claudia, Selim: Mitbewohner von Andy und Natalie

Ort
Köln und Umgebung

Handlung

Hauptfiguren des Romans sind die Geschwister Andreas („Andy“) und Simone („Kolumbus“). Geschildert wird Andys Abrutschen ins Drogenmilieu, das ihn bis zum Heroin und an den Rand der Selbstzerstörung führt. Teils aus Unwissenheit, teils aus Zuneigung verhindert die Schwester dies nicht, sondern trägt indirekt dazu bei, dass Andy diesen Weg gehen kann. Beide besuchen das Gymnasium, als der 16-jährige Andy anfängt, mit einigen Mitschülern gelegentlich zu kiffen. Er rechtfertigt das mit Argumenten, die in der Szene verbreitet sind: Die Auswirkungen von Alkohol seien gravierender, in der Gesellschaft passierten schlimmere Dinge als das bisschen Kiffen etc. Als Andy für Michi Haschisch verwahrt, wird er damit in der Schule erwischt. Da die Menge das für den Eigenbedarf Notwendige überschreitet, wird er der Dealerei verdächtigt und muss die Schule verlassen. Michi, der eigentlich Verantwortliche, schweigt. Die Eltern, vielbeschäftigte Inhaber eines Elektrohandels, sind entsetzt. Sie beschaffen Andy bei einem Bekannten eine Lehrstelle als Elektriker. Privat darf er nur noch in Begleitung seiner Schwester ausgehen. Das verhindert nicht, dass er eines Tages Natalie kennenlernt. Sie ist eine Fixerin, die nebenbei mit Haschisch und Marihuana handelt. Ihre Wohngemeinschaft hat an Drogen so ziemlich alles zu bieten, was es gibt. Andy verliebt sich in Natalie, gegen den Widerstand der Eltern, die aber ohnmächtig sind. Die inzwischen 13-jährige Simone sieht die Beziehung als romantische Liebe an, die es gegen die „feindliche“ Außenwelt zu schützen gilt. Mit 17 Jahren zieht Andy in die Wohngemeinschaft ein. Simone besucht ihn häufiger, bekommt aber vom Konsum und Handel mit harten Drogen nichts mit. Auffällig ist, dass Andy plötzlich größere Mengen Geld benötigt. Er holt nach und nach seine Sachen aus dem Elternhaus ab, um sie zu verkaufen. Den Schlüssel hat er von seiner Schwester. Schließlich stiehlt er sogar Simones Mountainbike. Diese verrät ihn immer noch nicht, obwohl sie längst einen Verdacht hat. Als Andy dann auch noch ihr Zimmer ausräumt, ist der Wendepunkt erreicht. Simone läuft zur Wohngemeinschaft, um Andy und Natalie zur Rede zu stellen, erlebt aber nur einen völlig apathischen Bruder. Erst jetzt erkennt sie: Er ist heroinabhängig, ein Junkie. Die Eltern informiert Simone nach wie vor nicht, sie möchte Andy aus falsch verstandener Rücksicht nicht in den Rücken fallen. Nach einer letzten Unterredung bricht der Kontakt zwischen den Geschwistern vorerst ab. Ein paar Wochen später sieht Simone ihren Bruder zufällig wieder – beim Klauen. Die Ausbildung hat er längst abgebrochen. Sie kann ihn zur Rede stellen, findet aber keinen Zugang zu ihm. Für den einstmals geliebten Bruder kann Simone zu diesem Zeitpunkt nur noch Abscheu empfinden. Andy selbst schämt sich, hat jede Selbstachtung verloren: Von Simone möchte er nur, dass sie ihn so schnell wie möglich vergisst. Über eine Projektwoche in der Schule bekommt Simone Kontakt zu der Drogenberaterin Sara, der sie sich später anvertrauen kann. Nachdem die Eltern informiert sind, entschließen sie sich schweren Herzens, ihren Sohn selbst bei der Polizei anzuzeigen. Die Wohngemeinschaft wird bei einer Razzia ausgehoben. Nur Selim, anscheinend der professionellste Dealer und Beschaffer der Drogen, kommt davon. Andy kommt ins Untersuchungsgefängnis Köln-Ossendorf. Dort unterzieht er sich einem sehr schmerzvollen Entzug. Es gelingt Simone, ihren Bruder von der Notwendigkeit einer Therapie zu überzeugen. Allerdings willigt er in erster Linie nur ein, weil er aus dem Gefängnis möchte. Mit Hilfe der Drogenberaterin gelingt es, einen Therapieplatz zu organisieren. Das Ende bleibt offen – es wird von Andys Willen abhängen.

3. Kurzinformationen zur Autorin

Angelika Mechtel ist eine bekannte Autorin zahlreicher Romane für Erwachsene und Kinder. Auch als Lyrikerin hat sie sich einen Namen gemacht. Sie wurde 1943 in Dresden geboren und starb im Jahr 2000 in Köln. Seit Ende der 1950er Jahre publizierte Mechtel Gedichte und Geschichten in Tageszeitungen, 1963 erschien ihr erster Gedichtband. Das Spektrum ihrer Veröffentlichungen umfasst auch Sachbücher, so dem viel beachteten Band Alte Schriftsteller in der Bundesrepublik (1972). Von 1975 an schrieb Mechtel auch für Kinder und Jugendliche. Viele ihrer Bücher schafften es auf die Auswahlliste zum Deutschen Jugendbuchpreis. Immer wieder, so auch in Cold Turkey, greift Mechtel in ihren Büchern gesellschaftskritische Themen auf. Auch außerliterarisch engagierte sie sich stark, vor allem für aus politischen Gründen verfolgte Schriftsteller aus aller Welt. Die Liste ihrer Auszeichnungen ist lang.

4. Allgemeine Einordnung

Cold Turkey behandelt das Thema Drogen weniger dokumentarisch, sondern mehr mitfühlend und bezieht daher weniger das Milieu der jeweiligen Drogen-Szene mit ein als beispielsweise Kai Hermanns Engel und Joe oder Melvin Burgess’ Junk, was einen Vergleich der Werke ergiebig macht. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von Christiane F./Hermann/Rieck wird im Buch namentlich erwähnt. Eine Verknüpfung durch z. B. die Vorstellung des Buches und/oder der Verfilmung liegt daher auch hier nahe. Es ist kein spezifischer zeitgeschichtlicher Hintergrund, etwa an bestimmten Ereignissen, Modeströmungen etc., erkennbar. Aus einigen Umständen (Konsumgesellschaft und -artikel, Schilderung der Stadt und Geschäfte) ergibt sich, dass die Handlung in den 1980er/90er Jahren angesiedelt ist.

5. Strukturelle und sprachliche Aspekte

Cold Turkey weist zwei Erzählebenen auf: In der Rückblende wird chronologisch Andys Geschichte erzählt, die sich über ca. drei Jahre erstreckt: wie er in die Drogenszene hineingerät, einen stetigen Abstieg durchmacht bis zum Tief- und Wendepunkt. Diese Erzählung wird immer wieder unterbrochen von Notizen aus Andys „Zettelkasten“. Dabei handelt es sich um kurze Notizen Andys aus dem erzählten Zeitraum, die sich wie die Teile eine Puzzles zusammensetzen lassen. Sie enthalten Einzelheiten über sein Leben und das zunehmende Gefühl der Sinnlosigkeit, aber auch seine Rechtfertigungen des Drogengebrauchs. Diese Puzzleteile sind eine interessante Unterbrechung der eigentlichen Erzählung und ergänzen diese. Die Erzählperspektive ist personal: Es wird in der 3. Person aus Simones Sicht erzählt. Simone nimmt eine Art Mittelstellung ein zwischen der „konventionellen“ Position der Gesellschaft und Andy. Die Handlung hat ein offenes Ende, da man nicht erfährt, wie die Therapie ausgeht und was aus Andy wird. Dieses offene Ende ist glaubwürdig und der Thematik angemessen. Davon abgesehen eröffnet es gute Möglichkeiten der Weiterarbeit am und mit dem Text. Die Sprache ist direkt und doch einfühlsam gestaltet. Sie ist ungekünstelt, wirkt aber nicht aufgesetzt und macht nicht übertriebenen Gebrauch von Szenejargon. Das Buch ist für Jugendliche gut lesbar.

6. Didaktische Anregungen

Der Protagonist Andy

1. Stationen einer Drogenkarriere
Der Chronologie folgend liegt es nahe, anhand der Handlung zunächst die Stationen einer „Drogenkarriere“ zu rekonstruieren: gelegentliches Kiffen, Steigerung des Drogenkonsums, Abgleiten in eine eigene Welt, Abbruch der Beziehungen zur Außenwelt
(z. B. Arbeit, Ausbildung), Konsum harter Drogen, Abhängigkeit, Diebstahl, Beschaffungskriminalität. Anhand von fiktiven Texten (Erzählungen, Dialogen) können Schüler überlegen, was man auf jeder einzelnen Stufe unternehmen könnte, um Andy zur Umkehr zu bewegen, z. B.

  • gelegentliches Kiffen --> Auseinandersetzung mit Gründen
  • Steigerung des Drogenkonsums --> Konfrontation mit dem Schicksal Drogenabhängiger
  • Abgleiten in eine eigene Welt --> klarmachen, was das „wirkliche Leben“ zu bieten hat, z. B. durch eine Reise
  • Abbruch der Beziehungen zur Außenwelt --> Versuche, Andy aus der Wohngemeinschaft mit Natalie und den anderen herauszuholen; „echte“ Freundschaften
  • Konsum harter Drogen, Abhängigkeit --> Folgen für die Familie; Gespräch über Therapie
  • Diebstahl, Beschaffungskriminalität --> Auseinandersetzung mit einem Bekannten Andys, der geschnappt worden ist

2. Auseinandersetzung mit Andys verschiedenen Rechtfertigungsversuchen für seinen Drogenmissbrauch:

  • „Kiffer ist nicht gleich Junkie.“ --> Problematik der Einstiegsdroge; Frage, wozu überhaupt Drogen jedweder Art (Entfremdung von der Wirklichkeit)
  • „Die kleinste Kleinigkeit (Kiffen) ist verboten, die größte Schweinerei ist erlaubt.“ (politisch-gesellschaftliche Legitimation) --> Funktion und Entlarvung der Relativierungsstrategien als vorgeschobene Entschuldigung
  • „Die Folgen von Alkohol sind schlimmer als die von Haschisch und Marihuana.“--> ebenfalls Entlarvung der Relativierung und Verharmlosung; Problematik einer Definition von Drogen

Die Auseinandersetzung kann stattfinden z. B. in Form eines Briefwechsels zwischen Simone und Andy oder der Einführung einer oder mehrerer neuer Figuren, die sich mit Andys Argumenten ernsthaft auseinandersetzen (--> Gespräche, Kapitel).

3. Ergänzung des „Zettelkastens“, Weiterführen von Andys Lebens-Puzzle

Die weiteren Figuren
1. Die Rolle der Eltern
Dabei geht es nicht darum, Schuldige zu finden und zu benennen, sondern es soll untersucht werden, welche Rolle die Eltern in diesem Konflikt spielen.

  • Auseinandersetzung mit der Art und Weise, wie die Eltern Probleme lösen (Geld, „Vitamin B“) --> z. B. die Eltern in einer Betroffenen-/Selbsthilfegruppe
  • Problem des Zugangs der Eltern zu Andy und Simone (Hilflosigkeit, Unfähigkeit, Unwille) --> Auseinandersetzung der Eltern mit ihren Kindern, Überlegungen zur eigenen Erziehung

2. Die Rolle der Schwester
Simone ist im Buch die eindeutige Sympathieträgerin. Für die Handlung ist der Altersunterschied zu bedenken, sie ist zu Beginn erst 12 Jahre alt und der große Bruder ist schon eine Art Vorbild. Dennoch leistet sie – unbewusst und ungewollt – durch ihr Verhalten seinem Abrutschen Vorschub.

  • Motive für Simones langes Stillhalten gegenüber den Eltern und anderen --> Tagebuch
  • Solidarität – worin besteht sie und wie weit kann sie gehen? --> z. B. Auseinandersetzung Simones mit Freundinnen
  • das Verhältnis der Geschwister nach der Therapie --> Fortsetzung der Handlung

3. Die Rolle der Nebenfiguren
Es gibt, auch neben der Wohngemeinschaft, einige Nebenfiguren, die für das Verhalten Andys und Simones von Bedeutung sind. Dieser Einfluss ist herauszuarbeiten, Alternativen könnten aufgezeigt werden.

  • Michi: ein „Gelegenheitskiffer“, der sich auf Andys Kosten „sauber gehalten“ hat, das Abitur macht und im Cabrio (Statussymbol) durch die Gegend fährt, Repräsentant eines Zynismus und Überlegenheitsgefühls
  • Katrin: Simones beste Freundin, die selbst voller Probleme steckt (Ladendiebstahl, Tablettenkonsum, „uppies und downies“) und in Bezug auf Andy und Simone nur sensationsgierig ist, aber keine echte Teilnahme zeigt
  • Tobias: zeitweise Simones Freund, Vorzeige-Junge, grenzt sich stark ab, als er von Andy erfährt und tut so, als wisse er längst Bescheid, Vertreter eines kleinbürgerlichen Überlegenheitsgefühls

Die Figuren und ihre Standpunkte können durch Charakteristiken herausgearbeitet werden oder in Auseinandersetzung mit Simone oder anderen gezeigt werden. Deutlich sollte werden, dass keiner von ihnen wirklich daran interessiert ist, Simone und Andy zu helfen. Sie sind ja noch nicht einmal an deren Schicksal ernsthaft interessiert. Darüber hinaus könnte am Negativbeispiel der drei gezeigt werden, worin echte Freundschaft bestehen kann.

Drogen

  • Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Drogenarbeit (Prävention, Entzug, Therapieformen, Rückfallquote) --> Gespräch mit einem Drogenberater, Besuch einer Drogenberatungsstelle, Ausbau der Rolle Saras im Buch
  • Auseinandersetzungen (freundschaftlich-solidarisch) zwischen Simone und Sara gestalten, dabei möglicherweise die Rolle Simones problematisieren (vgl. o.: „Augen auf!“, keine falsch verstandene Solidarität!) --> Dialog, weitere Kapitel verfassen
  • Ausarbeitung eines Fragenkatalogs für den Besuch bei der Polizei oder einer Einrichtung der Drogenhilfe
  • (für höhere Jahrgänge, etwa 9./10. Kl.:) Informationen über verschiedene Standpunkte der Drogenpolitik --> Expertenrunde, Diskussion
  • Drogen und ihre Wirkung --> Kurzvorträge; fachübergreifende Zusammenarbeit mit dem Biologieunterricht


Fazit

Vom Umfang, der sprachlichen Gestaltung und der sehr persönlichen Herangehensweise her ist Cold Turkey gut von der 7./8. Klasse an einsetzbar. Die offene Struktur bietet viele Möglichkeiten, mit dem Text umzugehen. Eventuell ist für manche Schüler Cold Turkey (etwa im Vergleich zu Junk oder Engel und Joe) nicht spektakulär genug, doch dies kann gut durch begleitende Arbeit ausgeglichen werden. Mit Simone wird den Schülern eine gute Möglichkeit gegeben, sich kritisch mit einer Figur der Handlung zu identifizieren.