Ein Trümmersommer von Klaus Kordon. Jugendbuchempfehlung
Klaus Kordon:
Ein Trümmersommer
1. Bibliografische Angaben und Lesestufe
- Klaus Kordon: Ein Trümmersommer. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg, 2006, 208 S.
- Lesestufe: ab 6. Klasse
2. Inhaltsangabe
Das Jugendbuch Ein Trümmersommer spielt im zerbombten Berlin des Jahres 1947. Die fünf Freunde Ballo, Spatz, Eule, Pit und Schonny erleben eine Zeit der materiellen Not, aber gleichzeitig auch vieler spannender Abenteuer. Durch die Abwesenheit der Väter kämpfen die Mütter als Trümmerfrauen und mit Hamsterfahrten um die Versorgung der Familie, die Jungen sind oft auf sich allein gestellt. So gründen sie unter ihrem Anführer Ballo – einem ehemals führenden Mitglied der Hitlerjugend und Sohn eines ehemaligen SS-Offiziers – eine Bande. Diese hat ihr „Hauptquartier“ in verschütteten Kellerräumen, die im Krieg von der SS genutzt worden sind. Als Eules älterer Bruder Fred, der mit seinem ärmlichen Leben unzufrieden ist und von materiellem Wohlstand träumt, mit einem Schieber einen Einbruch in ein Krankenhaus plant, um Medikamente für den Schwarzmarkt zu stehlen, soll die Bande „Schmiere stehen“. Als plötzlich die Polizei auftaucht, wird Fred verhaftet und Spatz angeschossen. Wie ich später herausstellt, wird er sein ganzes Leben lang gelähmt bleiben. Dem Schieber und auch den anderen Jungen gelingt die Flucht. Drei der Jungen verstecken sich im Hauptquartier, das plötzlich durch einstürzende Mauern zur Falle wird. Nur durch die Hilfe von russischen Soldaten und Pits gerade aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrtem Bruder Uli werden sie befreit.
3. Kurzinformationen zum Autor
In Ein Trümmersommer, aber auch in vielen anderen Jugendbüchern von Klaus Kordon finden sich zahlreiche Spuren des Lebens, besonders der Jugend des Autors. So wuchs Kordon (geb. 1943) wie die Hauptfiguren Pit und Eule ohne Vater in den Nachkriegsjahren im zerbombten Berlin auf. Nachdem 1956 auch die Mutter gestorben war, lebte er in verschiedenen Jugendheimen der DDR. Er übte unterschiedliche Tätigkeiten aus, holte dann das Abitur nach, studierte Volkswirtschaft und besuchte als Exportkaufmann zahlreiche Länder. Nach einjähriger politischer Haft konnte er in die BRD übersiedeln. Diesen Lebensweg zeichnet Kordon in seinem autobiografischen Roman Krokodil im Nacken anhand des Protagonisten Manfred Lenz nach. Heute lebt Kordon in Berlin und arbeitet seit 1980 ausschließlich als Schriftsteller. Zu seinem 60. Geburtstag wurde das Werkstattbuch Klaus Kordon von Barbara Gelberg herausgegeben, in dem sich zahlreiche weitere Informationen und Interviews mit dem Autor finden. Viele seiner Jugendbücher spielen des Weiteren wie Ein Trümmersommer in der neueren deutschen Geschichte, so z. B. Die Zeit ist kaputt (eine Biografie Erich Kästners) und auch die Triologie der Wendepunkte, die das Schicksal einer Familie über drei Generationen (vom Ende des Ersten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges) verfolgt. Für seine Werke ist Kordon bereits mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden, darunter mehrfach mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis.
4. Allgemeine Einordnung
Kordons Ein Trümmersommer kann im Unterricht der Jahrgangsstufe 6, aber auch in den Klassen 7 oder 8 gewinnbringend eingesetzt werden. Die folgende Ausarbeitung ist für eine 6. Jahrgangsstufe konzipiert, in älteren Klassen sollte besonders der Anteil der theoretischen Auseinandersetzung mit dem historischen Kontext erhöht werden. Die Erzählung eignet sich aus unterschiedlichen Gründen sehr gut für einen Einsatz im Deutschunterricht: Sie ist für die Kinder zunächst eine spannende Abenteuergeschichte (eine Bande gründet sich, besteht Mutproben, hat ein Versteck unter der Erde und arbeitet mit schlechtem Gewissen bei einem Einbruch mit). Da die fünf Jungen genau beschrieben werden, ist eine Erarbeitung der Charaktere sehr gut möglich. Des Weiteren wissen die Schüler nur sehr wenig über den historischen Kontext, die Nachkriegszeit, die sie aber sehr interessiert und die in diesem Buch sehr lebendig und anschaulich vorgestellt wird. Die Besprechung der Erzählung sollte sich nicht nur auf den Deutschunterricht beschränken, sondern kann unter Einbeziehung der Fächer Geschichte, Politik und Biologie zu einem fächerübergreifenden bzw. -verbindenen Projekt erweitert werden. Der Geschichtslehrer kann natürlich den historischen Kontext thematisieren und den zahlreichen Fragen zur Zeit des Nationalsozialismus, die sich für die Schüler oft aus der Lektüre ergeben, Raum geben. Außerdem können einzelne Zusammenhänge aufgegriffen werden, so interessieren sich die Kinder z. B. sehr stark für die Lebenssituation der Kriegsgefangenen und ihnen ist natürlich nicht klar, wieso Berlin in der Nachkriegszeit von russischen Soldaten überwacht wurde. Themen für das Fach Politik sind die Ursachen und das Leben in einer Dikatatur, aber auch die Frage nach der Schuld bzw. Mitschuld der Bevölkerung am Zweiten Weltkrieg, die im Buch mehrmals aufgeworfen wird. Im Biologieunterricht könnte man die Bereiche Ernährung, Hunger und Mangelerscheinungen mit den Schülern erarbeiten.
5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten
Das Buch mit seinen 206 Seiten ist in 41 Kapitel und ein Nachwort aufgeteilt. Die Handlung wird aus der Sicht eines auktorialen Erzählers berichtet, der jedoch oft den beiden Hauptfiguren Pit und Eule sehr nahesteht, so dass man ihn an einigen Stellen auch als personalen Erzähler auffassen kann. Sprachlich ist das Buch von den Schülern völlig problemlos zu bewältigen, Ausdrücke, die in unserem heutigen Sprachgebrauch nicht mehr üblich sind (z. B. „Muckefuck“), oder Begriffe aus der Zeit des Nationalsozialismus (z. B. „Hitlerjugend“) werden in Fußnoten erklärt. Die Handlung wird chronologisch erzählt und ist für die Schüler gut verständlich. Etwas verwirrend ist vielleicht die Darstellung der Familienverhältnisse der fünf Jungen am Anfang des Buches (bis S. 32). Da alle in ähnlichen Familienstrukturen leben, ist es schwierig, die fünf Geschichten nach dem Lesen den Namen der Jungen zuzuordnen. Dies kann im Unterricht z. B. mit einer arbeitsteiligen Gruppenarbeit, die jeweils einen der fünf Haushalte grafisch darstellt und in einer Präsentation vorstellt, nochmals aufgearbeitet werden (s. u.).
6. Didaktische Anregungen
Unterrichtseinstiege
Zunächst müssen die Schüler einen Zugang zu der Zeit bekommen, in der die Geschichte spielt. Hierzu präsentiert man
ihnen z. B. Bilder von Trümmerfrauen bei der Arbeit oder einer zerbombten Stadt auf einer Folie. Sie sollen zunächst beschreiben, was sie sehen, und anschließend, wie man wohl in einer solchen Stadt lebt, wie man sich fühlt, was dort Spaß macht und was eher Sorgen bereitet. Falls auf einer Darstellung ein Kind zu sehen ist, können die Schüler aus der Ich-Perspektive dieses Kindes dessen Gefühle und Erlebnisse erzählen. Alternativ kann als Einstieg auch ein älterer Lehrerkollege, der die Nachkriegszeit bewusst erlebt hat, von seiner Kindheit erzählt. Dies sollte noch kein von den Schülern ausführlich vorbereites Interview sein (welches natürlich später in der Unterrichtsreihe durchgeführt werden könnte), sondern zunächst ein kurzer Einblick in die Zeit und die Verhältnisse (Hunger, Trümmer, Verlust der Männer, …). Dieses erste Gespräch führt zu hoher Lesemotivation, aber auch dazu, dass die Kinder die Geschichte nicht nur als Fiktion lesen, sondern in dem Bewusstsein, dass die Lebensumstände vor gar nicht langer Zeit der Realität entsprachen. Im Unterricht kann auch zunächst das erste Kapitel (S. 5–9) vorgelesen werden. Die Schüler beschreiben dann Pits und Eules Lebensumstände und warum Eule seiner Mutter in den Trümmern nicht begegnen möchte.
Ballo, der Anführer der Bande
Zunächst teilt man die Klasse in fünf Arbeitsgruppen, die jeweils einen Jungen und seine Familie anhand des Textes bis Seite 32 vorstellen und auf einem Plakat präsentieren sollen. Dann greift man die Figur Ballo nochmals heraus. Ballo hebt Utensilien aus dem Nationalsozialismus auf, trägt eine Art Uniform, verehrt seinen Vater, der bei der SS tätig war, und glaubt immer noch an die Ideale des gerade gescheiterten Nationalsozialismus. Dies haben die Schüler in der Gruppenarbeit wahrscheinlich bereits herausgefunden; noch einmal deutlich herausarbeiten lässt sich diese Charakterisierung, indem man Ballos Rede zur Gründung der Organisation (S. 38–40) genauer bespricht. Die Schüler sollen untersuchen, wie Ballo auftritt (einnehmend, überzeugend, lässt keine Widerrede zu, …), welches Ziel er hat (Vertreibung der Besatzer) und wie er dieses erreichen will (Gehorsam, Führerprinzip, …). Danach wird die Passage um die Mutprobe (S. 54–60), die Ballo für den Eintritt in die Bande einfordert, gelesen. Pit absolviert die Aufgabe, obwohl er große Angst hat („Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.“, S. 59). Die Schüler sollen nun einen inneren Monolog verfassen, in dem Pit begründet, warum er auf die Trümmer klettert. Indem man einen Anfang vorgibt („Ich will ganz auf die Mauer steigen, so wie Ballo es getan hat. Ich muss das auch schaffen. Ein Grund dafür ist Ballo, er ist nämlich …“), veranlasst man sie dazu, gleichzeitig auch über die Figur Ballo und seine Art, andere zu beeinflussen, nachdenken. Dass Ballo allerdings nicht nur ein gewissenloser Führer ist, zeigen seine Skrupel, als er erfährt, dass die Bande sich an einem Einbruch in ein Krankenhaus beteiligen soll (ab S. 130). Seine Bedenken können die Schüler in einem inneren Monolog aufschreiben. Auch hier hilft schwächeren Klassen ein Anfang: „Ich kann meinen Freunden einfach nicht in die Augen sehen. Aber warum eigentlich nicht? Ich verstehe gar nicht, was plötzlich mit mir los ist. Ich dachte dieser Einbruch macht mir nichts aus. Aber …“. Abschließend muss analysiert werden, wie Ballo auf die Nachricht reagiert, dass sich sein Vater selbst umgebracht hat, um der Bestrafung für den Verrat von Juden und Andersdenkenden zu entgehen (S. 141 ff.). Diese Textstelle sollte zunächst gemeinsam gelesen werden, um im Unterrichtsgespräch die Zusammenhänge (Was ist ein KZ? Welche Strafen hatte der Vater zu befürchten? …) zu erklären. Anschließend beschreiben die Schüler, was nun in Ballo vorgeht, und verschriftlichen seine Gefühle wiederum als inneren Monolog. Alternativ bereiten sie ein Rollenspiel vor, in dem Ballo seinen Freunden Pit und Eule erklärt, warum er so enttäuscht ist von dem, was er von seiner Mutter erfahren hat.
Die Arbeit der Trümmerfrauen
Bereits im ersten Kapitel werden die Trümmerfrauen angesprochen: Eule entdeckt überrascht, dass auch seine Mutter in den Trümmern arbeitet, was er für sich, aber besonders für sie als demütigend empfindet. Diese Arbeit ist für die Schüler völlig fremd und zunächst unverständlich. Den besten Zugang erhalten sie über Bilder, auf denen sie sehen können, wie zerbombt viele deutsche Städte waren. Auch müssen sie verstehen, wieso diese Arbeit nicht mehr von den Männern verrichtet werden konnte. Nach diesem Einstieg sollen die Schüler im Text folgende Informationen finden: Welche Arbeiten muss eine Trümmerfrau errichten? Wie wird diese Arbeit beschrieben? Welche anderen Tätigkeiten gibt es für Frauen? Welches Ansehen haben Trümmerfrauen (vgl. hierzu die Reaktionen von Eule und seinen Geschwistern auf die Arbeit der Mutter)? Sehr schnell erkennen die Kinder, wie sehr sich die Frauen in dieser Zeit für ihre Familien und den Wiederaufbau aufopfern mussten. Ihre Bedeutung für die Geschichte kann man auch anhand eines 50-Pfennig-Stücks, auf dessen Rückseite eine Frau (beim Pflanzen eines Baumes) als Symbol für den deutschen Wiederaufbau zu sehen ist, klarmachen. Besonders spannend wäre es an dieser Stelle natürlich, eine Zeitzeugin in den Unterricht einzuladen bzw. zu besuchen (evtl. Großeltern der Schüler, Seniorenheim).
Der Kampf ums Überleben – die Hamsterfahrten und der Schwarzmarkt
Für die Schüler sind Hungersnöte und der tägliche Kampf um Lebensmittel sicherlich untrennbar mit Entwicklungsländern verbunden und spielen für ihre eigene Lebenswelt keine Rolle. Daher ist es für sie erschreckend, sich vorzustellen oder sogar von Zeitzeugen zu erfahren, dass vor nur etwa 60 Jahren diese Probleme auch in Deutschland aktuell waren. In Gruppen beschäftigen sich die Schüler nun mit Hamsterfahrten und dem Handel auf dem Schwarzmarkt. Jede erhält eine Textstelle (S. 92–106, S. 112–121, S. 134 f., S. 152–157, S. 164 f.) und soll Antworten auf die folgenden Fragen ermitteln: Warum kaufen und tauschen die Menschen auf der Hamsterfahrt bzw. auf dem Schwarzmarkt? Wie verhalten sich die Personen? Wer hat Erfolge bei einer Hamsterfahrt bzw. auf dem Schwarzmarkt, wer eher nicht? Nach der Vorstellung der Ergebnisse muss im Unterrichtsgespräch unbedingt deutlich werden, dass sowohl die Hamsterfahrten als auch der Schwarzmarkt zu ungerechten Tauschverhältnissen, reiner Willkür, totaler Ausbeutung und tiefer Demütigung der Schwachen führen. Dies kann dann in affektiven Übungen vertieft und gefestigt werden. Die Schüler schreiben z. B. Pits Tagebucheintrag von dem Tag, an dem er mit seiner Mutter eine Hamsterfahrt unternommen hat (S. 92 ff.), oder einen Dialog (der dann als Rollenspiel vorgestellt wird) zwischen zwei Frauen, die beide erfolglos auf einer Hamsterfahrt waren und nun im Zug neben Pit stehen. Die Klasse kann auch Standbilder bauen, die Pits Mutter und die Bauern, bei denen sie etwas tauschen möchte, zeigen. Diese sollten die Demütigung und Entwürdigung der Mutter verdeutlichen, die alle privaten Wertsachen gegen eine beliebige Menge von Lebensmitteln eintauschen muss. Natürlich ist auch bei diesem Thema ein Zeitzeuge eine motivierende und gewinnbringende Ergänzung. Außerdem kann man den Schülern die Geschichte rund um den Begriff des „Fringsens“ (Bezeichnung für Kohlendiebstahl nach dem Kölner Geistlichen Frings, der Stehlen zum Überleben billigte) erzählen.
Die Frage nach dem Warum und der Schuld
Bei dem Thema Nationalsozialismus stellen die Schüler dieses Alters sehr häufig die Frage, wieso jemand wie Hitler an die Macht kommen konnte und warum sich die Menschen nicht gegen den Krieg wehrten bzw. wehren konnten. Eine gute Diskussionsgrundlage dazu bietet das Gespräch zwischen Pit, seinem aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Bruder Uli und der Mutter (S. 183–186). Die Schüler können aus dem Text herausarbeiten, warum Pits Vater sich trotz seiner Überzeugung, „dass das mit Hitlers Krieg nicht gut gehen konnte“ (S. 184), nicht gegen das Regime gewehrt hat und welche Lehren aus diesem Krieg gezogen werden müssen („Ich habe Angst vor dem nächsten Kasper.“, S. 186, „Darum müssen wir aufpassen.“, ebd.). Für mehr Hintergrundinformationen bietet das Buch Kinder entdecken Geschichte (hrsg. von Klaus Bergmann und Rita Rohrbach, Schwalbach/Ts.: Wochenschauverlag, 2001) sehr kindgerechte Arbeitsblätter, die man als Freiarbeit einsetzen kann.
empfohlen von Christiane Althoff