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Im Schatten des Vesuv von Eilis Dillon. Jugendbuchempfehlung

Eilis Dillon:

Im Schatten des Vesuv

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Eilis Dillon: Im Schatten des Vesuv. Timon erlebt die letzten Tage von Pompeji. München: dtv junior, 2006, 192 S. (aus dem Englischen von Annemarie Böll, Originaltitel: The Shadow of Vesuvius)
  • Lesestufe: 5.–6. Klasse

2. Inhaltsangabe

Der Maler Scrofa kommt mit seinem jungen griechischen Sklaven Timon wegen eines gut bezahlten Auftrags nach Pompeji. Timon ist ein Jahr zuvor auf seiner Heimatinsel von plündernden römischen Soldaten gefangen genommen und als Sklave verkauft worden. Mit seinem Herrn hat er Glück gehabt, denn Scrofa ist ihm väterlich zugeneigt und weist den begabten Jungen in die Kunst des Malens ein. In Pompeji sollen sie für den reichen Kaufmann Caius Vettius Wandgemälde anfertigen. Bei seinen abendlichen Spaziergängen am Hafen wird Timon von dem Piraten Nass angesprochen. Dessen Bruder Marso ist vor kurzem gefangen genommen worden und muss nun in der Arena von Pompeji als Gladiator kämpfen. Nass will Marso befreien und aus der Stadt fliehen. Timon ist bereit, ihm zu helfen, wenn Nass ihn im Gegenzug nach Griechenland bringt. Als der junge Sklave vom  Schicksal Cornelias, der Nichte Caius Vettius’, erfährt – sie liebt den jungen Adligen Trebius Glaucus, soll aber schon in wenigen Tagen mit einem älteren Kaufmann verheiratet werden –, weiht er die Liebenden in sein Vorhaben ein. Ein komplizierter Fluchtplan wird vorbereitet: Trebius soll den ansonsten streng bewachten Marso zu sich einladen, aus Neugier und Bewunderung, wie er vorgibt. Zugleich sollen sich Cornelia und Timon im Haus des Trebius treffen und alle zusammen mit dessen Boot zu dem größeren Piratenschiff gelangen. Unterdessen mehren sich die Anzeichen einer unmittelbar bevorstehenden Naturkatastrophe: Tiere zeigen seltsame Verhaltensweisen und in der Nacht kommt es zu kleineren Erdstößen, die aber von den Bewohnern der Stadt ignoriert werden, wenn auch eine gedrückte Atmosphäre herrscht. Timons Motiv für die Flucht verändert sich; es ist nun eher die Angst vor einem Unglück, weshalb er auch seinen gutmütigen Herrn nicht allein in Pompeji zurücklassen will. Drei weitere Menschen, die Cornelia und Trebius am Herzen liegen, kommen ebenfalls mit. Als die Flüchtlinge in See stechen, merkt Timon, dass die Piraten Böses im Schilde führen: Sie wollen ihn und seine Freunde auf hoher See loswerden. Um sich selbst zu retten, kommen die Hintergangenen den Piraten zuvor und überwältigen sie. In dem Moment, in dem Timon sich befreit fühlt, bricht der Vesuv aus, Staub und glühende Asche regnen auf das Schiff nieder. Aber die Flüchtlinge überstehen die Katastrophe unbeschadet. Sie gelangen nach Misenum, wo sie wegen der chaotischen Lage unbehelligt landen können. Während die Pompejaner nach Rom weiterziehen, segeln Timon und Scrofa zu Timons griechischer Heimatinsel.

3. Kurzinformationen zur Autorin

Eilis Dillon wurde 1920 in Galway an der irischen Westküste geboren und starb 1994. Sie schrieb Kinderbücher sowie Romane für Jugendliche und Erwachsene. In englischer Sprache sind etwa 50 Bücher von ihr erschienen. Einige davon wurden ins Deutsche übersetzt, zum Beispiel Die Insel der Pferde, Man nannte sie Wildgänse und der breit angelegte Roman Uns bleibt nur, die Namen  zu flüstern über den Weg zur irischen Unabhängigkeit. Der Jugendroman Im Schatten des Vesuv erschien 1978 im Original und 1980 in Deutschland.

4. Allgemeine Einordnung

Verpackt in eine spannende und unterhaltsame Geschichte um Freiheit und Freundschaft erzählt Eilis Dillon vom Vesuvausbruch und vermittelt dabei einen authentischen Eindruck der kaiserzeitlichen römischen Gesellschaft. Der Roman spielt im August des Jahres 79 n. Chr., in den Tagen unmittelbar vor und während des Untergangs der Stadt Pompeji. In der Stadt lebten damals etwa 15 000 Menschen. Nach einem schweren Erdbeben im Jahr 62 n. Chr., das im Roman mehrfach erwähnt wird und als eine Art Vorbote und Warnung vor der Katastrophe erscheint, war Pompeji erst zum Teil wieder aufgebaut worden. Die Katastrophe kam so plötzlich und schnell, dass die Bewohner der Stadt keine Zeit hatten, vor dem Regen von Asche und Bimsstein zu fliehen. Das inzwischen weitgehend ausgegrabene Pompeji wurde zu einer Fundgrube für die Wissenschaftler: Wie in einem Schaukasten kann man heute sehen, wie das Leben in einer römischen Stadt vor etwa 2000 Jahren aussah. Pompeji war eine vor allem von  Händlern und Geschäftsleuten bewohnte Stadt, die einen vielfältigen Querschnitt antiken Lebens und der römischen Gesellschaft darstellt. Einrichtungsgegenstände und Gerätschaften des Alltags sowie Wandinschriften, wie etwa Geschäftsanzeigen, Wahlagitationen und Liebesgeständnisse, geben Auskunft über die Bedingungen und Begebenheiten des täglichen Lebens. Von besonderer Bedeutung sind die zahlreichen, oft gut erhaltenen Wandmalereien, die Dillon auch in ihrem Buch aufgreift. Einige befinden sich heute im Museum, so ist etwa die Abbildung der von Perseus befreiten Andromeda – die im Roman von Timon gemalt wird – im Museo Archeologico Nazionale in Neapel zu sehen. Der Roman zeichnet auch ein vielfältiges und anschauliches Bild von der römischen Gesellschaft der Kaiserzeit: vom Leben der Sklaven; der Gladiatoren, an deren blutigen Kämpfen sich die Bewohner von Pompeji erfreuen; der Piraten, die sich vor den römischen Soldaten verbergen müssen; der Frauen, die mehr oder weniger rechtlos unter der Herrschaft ihrer patriarchalisch geführten Familien stehen und gegen ihren Willen verheiratet werden; der Künstler und ihren Arbeitsbedingungen; der Händler und Geschäftsleute sowie der Angehörigen der adligen Oberschicht, die in den feinen Villen am Rande der Stadt leben. Im Zentrum des Romans aber steht das Leben der  einfachen Menschen, der sozial Benachteiligten, vor allem der Sklaven. Die Gesellschaft der Antike ist ohne die Sklaverei nicht denkbar. Das gesamte Wirtschaftsleben beruhte auf der Sklaverei und vor allem der rasch expandierende Stadtstaat Rom tat sich durch regen Sklavenhandel hervor. Sklave wurde man vor allem durch Kriegsgefangenschaft, aber etwa auch durch Menschenraub. Durch die Eroberungskriege Roms stieg die Zahl der Sklaven gewaltig, während der Kaufpreis sank. Durch schlechte Behandlung und mangelhafte Beaufsichtigung wurden große Sklavenkriege, wie zum Beispiel der Aufstand des Spartacus, heraufbeschworen, die nach ihrer Niederwerfung allerdings keine Veränderung im Sklavensystem bewirkten. Mit Beginn der Kaiserzeit ist eine zunehmende Humanisierung des Sklavenrechts festzustellen. Freilassungen (unter bestimmten Bedingungen) wurden immer häufiger. Auch in Eilis Dillons Geschichte ist die Hauptfigur ein Sklave, der von seinem Herrn verhältnismäßig gut behandelt wird. Wie viele der meist gebildeten Haussklaven stammt er aus Griechenland. Aber der Roman erzählt auch vom Schicksal jener Sklaven, die es weniger günstig getroffen hat, etwa von dem der Gladiatoren, die blutige und meist tödlich endende Schaukämpfe vor einem Massenpublikum austragen mussten.

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Der Roman besteht aus zehn etwa gleich langen Kapiteln und ist in einer einfachen, verständlichen Sprache geschrieben, wozu auch die hervorragende Übersetzung von Annemarie Böll beiträgt. Nur vereinzelt tauchen Wörter auf, die erläutert werden müssen, etwa Begriffe für antike Gebrauchsgegenstände, die heute unbekannt sind. Die Geschichte von Timon und seinen Freunden ist spannend erzählt und von Anfang an auf den Höhepunkt im letzten Kapitel, den Ausbruch des Vesuv, hin ausgerichtet. Dabei erscheint der bedrohliche Vulkan als eine Art Leitmotiv, das die Handlung des Romans von Scrofas von Sorge und Angst geprägten Erzählungen über Pompeji im ersten Kapitel bis hin zur Katastrophe am Ende stets begleitet und so zum Symbol für die Bedrückung und Gefahr wird, der die Figuren ausgesetzt sind. Ausgerechnet die für die Masse der Bewohner von Pompeji tödliche Katastrophe, der Untergang der Stadt unter einem Regen von Asche und Steinen, führt für die Hauptfiguren die Befreiung herbei. Die Geschichte wird in der dritten Person erzählt, jedoch weitgehend aus der Perspektive Timons, der so zur Identifikationsfigur wird. Junge Leser können sich damit in die Lage eines ebenfalls noch jugendlichen Sklaven versetzen, der zwar von seinem Herrn gut behandelt wird, aber gewaltsam von seiner Heimat und seiner Familie getrennt worden ist. Das Thema der Sehnsucht nach Freiheit und Heimkehr zu den Seinen ist daher auch eines der zentralen Motive des Romans. Zudem befindet sich der junge Timon auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und -bestimmung. Dies wird vor allem durch zwei parallel verlaufende Handlungsstränge zum Ausdruck gebracht: Zum einen gelingt es Timon, von seinem Herrn die Erlaubnis zu bekommen, ein anspruchsvolles Wandbild mit den individuellen Zügen lebender Menschen zu malen, und so sein künstlerisches Talent zu verwirklichen. Zum anderen entwirft Timon zusammen mit anderen Unterdrückten und Benachteiligten und zunächst ohne Kenntnis seines Herrn einen Plan zur Flucht aus der gefährdeten Stadt und so auch zur Selbstbefreiung. Dabei spielt ein weiteres zentrales Motiv des Romans eine wichtige Rolle: das Thema der Freundschaft und Solidarität. Nur dadurch, dass die Figuren, die aus unterschiedlichen Gründen aus Pompeji fliehen wollen, sich in die Lage des anderen hineinversetzen können, sich gegenseitig vertrauen und schließlich einander Hilfe leisten, kann der Plan in die Tat umgesetzt werden und gelingen. Dass Timons Herr, der alte Maler Scrofa, schließlich eingeweiht wird, sich an der Flucht beteiligt und beide gemeinsam in Timons Heimat segeln, wird so zum Sinnbild einer die gesellschaftlichen Schranken überwindenden Utopie. Gleichsam als Gegenwelt zu Timon und den anderen Flüchtlingen erscheint Pompeji, dargestellt als eine Stadt der kalten, hauptsächlich auf ihren persönlichen Reichtum und auf primitive Vergnügungen bedachten Händler und Geschäftemacher – eine Welt, die für die auf Macht- und Geldgier sowie sozialer Ungleichheit und Gewalt beruhende römische Gesellschaft steht und gleichsam dem Untergang geweiht ist. Mit Timon, Scrofa, dem Gladiator Marso sowie dem Liebespaar Cornelia und Trebius überleben die Außenseiter dieser Gesellschaft, die Sklaven, Künstler, Gebildeten und unerlaubt Liebenden. Damit enthält der Roman auch eine Zukunftsperspektive, die über das Historische hinausgeht.

6. Didaktische Anregungen

Für den Einsatz im Unterricht ist Eilis Dillons Roman vielfältig geeignet. Zum einen erfahren die Schüler viel Interessantes über das Leben und die Gesellschaft der römischen Kaiserzeit, über Herren und Sklaven, Gladiatoren, die blutigen Zirkusspiele, über antike Kunst und das Leben und den Alltag der Künstler, über Handel und Gewerbe, über die Stellung der Frau in der römischen Familie sowie auch über antike Religionen und Mythen. Die Erarbeitung dieser Themen bietet nicht nur eine sinnvolle Ergänzung zum Geschichtsunterricht, in dem die Behandlung der römischen Antike in der Regel ein Unterrichtsvorhaben in den unteren  Klassen der Sekundarstufe I darstellt. Vielmehr erscheint ein fächerübergreifender Ansatz in diesem Fall geradezu notwendig, da eine Klärung des geschichtlichen Hintergrundes eine Voraussetzung für eine sinnvolle Besprechung des Romans ist. So sollten die Schüler über das tatsächliche historische Ereignis des Vulkanausbruchs und des Untergangs der Stadt sowie über die archäologische Bedeutung Pompejis informiert sein. Hier bietet sich ebenso eine Kooperation mit dem Geschichtslehrer an wie bei dem Thema der antiken Sklaverei. Während die Informationen über Pompeji (etwa in Form eines Lehrer oder Schülerreferats) vermittelt werden sollten, bevor die Schüler anfangen, den Roman zu lesen, erscheint es sinnvoll, im Geschichtsunterricht eine Sequenz zur römischen Gesellschaft, insbesondere über das Leben und die Arbeit der Sklaven, parallel zur Besprechung des Romans durchzuführen. Fächerübergreifende Ansätze bieten sich im Übrigen etwa auch mit den Fächern Erdkunde (Vulkanismus) und Kunsterziehung (Wand- und Porträtmalerei) an. Die Schüler bekommen durch die Lektüre aber nicht nur einen lebendigen und einfühlsamen Einblick in das Leben der Menschen vor 2000 Jahren. Vielmehr weisen die Struktur und die Themen des Romans auch Bezüge zur Gegenwart sowie zur Lebenswelt und zu den Problemen heutiger Schüler auf. Freundschaft, Solidarität, Selbsterkenntnis und Selbstverwirklichung eines jugendlichen Menschen sowie die Sehnsucht nach Freiheit, Geborgenheit und Liebe sind zeitlose Themen und können vor einem historischen Hintergrund, der zunächst Distanz erzeugt, gerade jungen Lesern wirksamer nahegebracht werden. Zugleich bietet der geschichtliche Stoff die Möglichkeit, sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede zwischen der Welt vor 2000 Jahren und der Gegenwart zu diskutieren. Die Sklaverei ist  heute auf der ganzen Welt nahezu abgeschafft, aber bis in das vorletzte Jahrhundert hinein war sie noch ein wesentlicher Bestandteil auch der westlichen Zivilisation. Schließlich kann auch das Schicksal der Stadt Pompeji, die eine Gesellschaft repräsentiert, welche vor allem auf Handel, Konsum und gedankenlosen Vergnügungen beruht, als ein warnendes Beispiel für die Gegenwart vorgeführt werden. Wie die Bewohner Pompejis, welche die Anzeichen einer bevorstehenden Katastrophe ignorieren, weil sie ihre gewohnte, vor allem von Besitz und Äußerlichkeiten dominierte Welt nicht verlassen wollen, gehen auch die heutigen Menschen den Warnungen vor künftigen Gefahren oft aus dem Weg. Die Geschichte von Timon und seinen Freunden stellt dazu ein Gegenmodell dar und erfüllt so auch eine erzieherische Funktion. Um ein solches Ziel im Unterricht zu erreichen, ist es notwendig, während der Lektüre des Romans vor allem die Motive der verschiedenen Figuren für ihr Handeln herauszuarbeiten. Dabei bieten sich mehrere handlungsorientierte Ansätze an. So können die Schüler etwa in einem Rollenspiel die im Text nur kurz erwähnte Vorgeschichte Timons szenisch darstellen: wie der Junge in seiner Heimat von Soldaten gefangen genommen und auf einem fremden Marktplatz als Sklave verkauft wird. Dadurch bekommen die Schüler einen lebendigen Eindruck davon, was es heißt, ein Sklave zu sein. Dieselbe Funktion könnte ein von den Schülern verfasster und vorgetragener Dialog zwischen Timon und einer anderen Figur (z. B. Cornelia) haben, in dem der Junge von seinen Erfahrungen und seinem Leid über die Trennung von seiner Heimat und seiner Familie berichtet. Um sich in die Lage eines Gladiators hineinzuversetzen, könnten die Schüler ein Gespräch zwischen Marso und Nass nach der Befreiung verfassen. Die Stellung der Frau in der römischen Gesellschaft kann den Schülern dadurch anschaulich gemacht werden, dass sie Cornelia einen Brief an Trebius schreiben lassen, in dem diese dem Geliebten ihre verzweifelte Lage schildert. Schließlich sollten die Schüler während der Lektüre auch die im Roman enthaltenen Informationen über die Stadt Pompeji und ihre Bewohner sammeln. Ausgehend von Scrofas Erzählungen im ersten Kapitel, wo er von seiner Angst und seiner negativen Meinung über die Stadt berichtet, sollten sie die Lebensweisen und Einstellungen der Pompejaner charakterisieren. In einem Rollenspiel könnten sie etwa Timon sich mit einem pompejanischen Geschäftsmann unterhalten lassen, der begründet, warum er trotz der drohenden Naturkatastrophe die Stadt nicht verlassen will. Auch das offene Ende des Romans lädt geradezu zu produktionsorientiertem Unterricht ein: Die Schüler können mögliche Fortsetzungen schreiben, etwa über Timons und Scrofas weiteres Schicksal in Griechenland.


empfohlen von Dirk Jürgens