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Ich fühl mich so fifty-fifty von Karin König. Jugendbuchempfehlung

Karin König:

Ich fühl mich so fifty-fifty

1. Bibliografische Angaben und Lesestufe

  • Karin König: Ich fühl mich so fifty-fifty. München: dtv junior, 2005, 128 S.
  • Lesestufe: 9. Klasse

2. Inhaltsangabe

Sabine Dehnert lebt mit ihrem Bruder Mario und den Eltern in Leipzig. 1989 bekommt Mario überraschend eine Ausreisegenehmigung für einige Tage, um eine Tante in Hamburg zu besuchen. Schon bei der Abreise ahnt die Mutter, dass ihr Sohn nicht zurückkehren könnte. Diese Befürchtung bestätigt sich schließlich, Mario bleibt in Hamburg. Sabine beginnt nun, stärker über sich und ihre Umwelt nachzudenken. Immer häufiger fällt ihr die Verlogenheit des Systems auf, in dem sie lebt. Da sie aber kurz vor den Abiturprüfungen steht, schweigt sie und erträgt z. B. die Schikanen der Lehrerin. Die Familie ist nach Marios Verschwinden zunächst sehr besorgt. Als er sich dann endlich meldet, entschließt sich Frau Dehnert, ihrem Sohn nachzureisen. Auch sie, gerade Frührentnerin geworden, erhält die Ausreisegenehmigung. Sabine bleibt mit dem Vater, der sehr in sich gekehrt und unzufrieden ist, zurück in Leipzig. Ihr Antrag auf eine Besuchserlaubnis in den Westen wird abgelehnt. Die Familie scheint an der Trennung zu zerbrechen. Schließlich entscheidet sich Sabine nach dem Abitur zu einer illegalen Flucht über Ungarn und Österreich und gelangt nach Hamburg. Dort arbeitet sie in einem Altenheim und spürt die Vorurteile gegenüber Ostdeutschen. Nach der Maueröffnung bekommt sie Besuch von Freunden aus Leipzig und fährt selbst noch einmal in ihre Heimatstadt. Sie hat wieder ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater, dennoch ist die Familie durch die Wende auseinandergebrochen. Mit einer Arbeitskollegin erfüllt sich Sabine ihren Traum von einer Reise nach Griechenland. Emotional ist sie hin- und hergerissen, ob sie ihr weiteres Leben in Hamburg oder Leipzig verbringen will.

3. Kurzinformationen zur Autorin

Karin König hat neben Ich fühl mich so fifty-fifty zwei weitere Bücher als Mitautorin veröffentlicht: Merhaba … Guten Tag und Oya. Fremde Heimat Türkei. Letzteres schildert ebenfalls die Situation eines jungen Mädchens, das sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden muss und diese nur schwer als neue Heimat anerkennen kann. Gedanken von Oya, die von Deutschland in die Türkei umziehen soll, könnten auch von Sabine stammen: „Manchmal wusste ich selbst nicht mehr, wer ich eigentlich war und wo ich hingehörte. Ich war halb so und halb so, die Grenze lief durch mich hindurch.“ (München: dtv junior, 2006, S. 15 f.) Die Inhalte dieser zwei Werke resultieren sicherlich auch aus der Arbeit und Lebensgeschichte der Autorin. Karin König wurde 1946 in Düren geboren und ist ausgebildete Krankengymnastin, Sozialarbeiterin und Diplompädagogin. Sie war viele Jahre in der Ausländerarbeit tätig und promovierte schließlich über Veränderungsprozesse türkischer Mädchen und Frauen durch die Emigration. Aus diesen Erfahrungen und Forschungen sind die beiden sehr authentischen Werke, die die Schwierigkeiten von Mädchen beim Aufwachsen in einem anderen kulturellen Umfeld beschreiben, entstanden.

4. Allgemeine Einordnung

Karin Königs Erzählung Ich fühl mich so fifty-fifty ermöglicht im Deutschunterricht der Klasse 9 oder in leistungsstarken Klassen niedrigerer Jahrgangsstufen den Zugang zu vielen unterschiedlichen Themenbereichen: Die Schüler erfahren sehr viel über das Leben in der DDR und erhalten Einblicke in die historischen Ereignisse der Wende. Im Unterricht können damalige und heutige Klischeevorstellungen über Ost- und Westdeutsche sowie die sogenannte „Ostalgie“-Tendenz thematisiert werden. Des Weiteren eröffnet das Buch die Möglichkeit einer grundsätzlichen Diskussion über den Begriff „Heimat“. Da Sabines Familie, die an den politischen Umständen zu zerbrechen droht, andere Konstellationen gegenübergestellt werden (der Freund Thomas erfährt harmonisches Familienleben bei seinen Großeltern, die griechische Familie der Arbeitskollegin Maria), lässt sich auch das Zusammenleben in der Familie anhand der Erzählung thematisieren. Sehr gewinnbringend kann man gleichzeitig zur Besprechung im Deutschunterricht in anderen Fächern zum Thema DDR arbeiten. Für die Schüler ist die DDR heute schon nicht mehr mit persönlichen Erinnerungen verbunden, sie haben die Wende nicht miterlebt. Es ist daher sinnvoll, mit dem  eschichtslehrer systematisch zu erarbeiten, wie es überhaupt zur Gründung der DDR kam, wieso Berlin geteilt war (einige Schüler haben erst dann das Aha-Erlebnis, dass Berlin nicht im Grenzgebiet zwischen der BRD und DDR lag), wie es zur Wende kam (die Person Michail Gorbatschow kann z. B. genauer betrachtet werden) und wie man schließlich die Wiedervereinigung gestaltete.
Für den Politikunterricht bieten sich arbeitsteilige Präsentationen zu verschiedenen Lebensbereichen der DDR (Wirtschafts- und Schulsystem, Staatssicherheit) an. Die Themen werden im Idealfall von den Schülern selbst vorgeschlagen; Material findet sich z. B. in Geschichtsbüchern der 10. Klasse. Ohne diese Hintergrundinformationen bleibt die Bearbeitung der Lektüre sehr oberflächlich. Je nachdem ob die Schulklassen im Gebiet der ehemaligen DDR leben oder nicht, müssen die Unterrichtsinhalte natürlichan das Vorwissen und die Erfahrungen der Schüler angepasst werden Besonders interessant ist die Behandlung des Buches, wenn in der Jahrgangsstufe 10 eine Abschlussfahrt nach Berlin geplant ist. In diesem Fall können die Schüler zahlreiche im Unterricht erworbene Fakten direkt im Kulturprogramm wiedererkennen und einordnen (z. B. Checkpoint Charly, Gedenkstätte in Hohenschönhausen, Mauerverlauf am Brandenburger Tor).

5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten

Die Erzählung Ich fühl mich so fifty-fifty umfasst 128 Seiten, die in 20 Kapitel unterteilt sind. Die Geschichte wird aus Sabines Sicht geschildert, allerdings nicht in der Ich-Perspektive, wie der Titel zunächst vermuten lässt. Sprachlich ist sie leicht zu erfassen und kann somit problemlos von den Schülern vorbereitend gelesen werden. Zahlreiche Begriffe aus dem Leben der DDR (Staatsbürgerkunde, Elternaktiv, FDJ, Montagsdemonstrationen in Leipzig) werden in Fußnoten sehr verständlich erläutert. Im Anhang des Buches fasst eine Zeittafel die wichtigsten Ereignissen der Jahre 1989 und 1990 zusammen. Die Handlung wird nicht chronologisch erzählt. Das Geschehen beginnt mit Sabines Flucht über die österreichische Grenze, dann blickt die Protagonistin auf die letzten sechs Monate in Leipzig zurück, bis im 13. Kapitel dann vom erfolgreichen Ende der Flucht berichtet wird. Die verbleibenden Kapitel erzählen von Sabines Schwierigkeiten und Erfahrungen in Westdeutschland. Unterbrochen wird die Handlung von vier Briefen, die ebenso wie ein Tagebucheintrag Sabines durch ein anderes Schriftbild gut erkennbar sind.

6. Didaktische Anregungen

Unterrichtseinstiege
Bevor die Klasse die Geschichte kennt, kann der Lehrer die ersten Seiten (S. 5 f.) vorlesen und spekulieren lassen, wer hier gerade auf der Flucht ist. Spätestens wenn Sabine und ihre Begleiter überlegen, ob sie noch in Ungarn oder schon in Österreich sind, werden die Schüler erkennen, dass es sich um eine Flucht von DDR-Bürgern handelt. Dies kann auf einer Europakarte veranschaulicht werden. Die Klasse trägt dann zusammen, warum Sabine wohl den Wunsch haben könnte, ihr Land zu verlassen. In dieser Diskussion kann der Lehrer feststellen, ob die Schüler Vorkenntnisse haben und ob vielleicht einzelne Schüler durch persönliche Kontakte mehr zu diesem Thema beitragen können. Es sei hier nochmals erwähnt, dass die Unterrichtsplanung davon abhängt, ob es sich um eine Klasse aus dem Gebiet der ehemaligen DDR handelt oder nicht, da das Vorwissen (z. B. durch Gespräche mit den Eltern, die in der ehemaligen DDR gelebt haben) wohl sehr unterschiedlich ausfallen wird. Alternativ kann man mit einem Brainstorming zum Thema DDR beginnen oder die Schüler anhand von Kopien des Klappentextes und Titelbildes sammeln lassen, warum Sabine so melancholisch ist und „die Eingewöhnung im anderen Deutschland“ (Klappentext) so schwer sein könnte.

Die Figuren – Analyse und Bewertung
Um sich zunächst einen Überblick über die Handlung zu verschaffen, erhalten die Schüler, nachdem sie die Lektüre zuhause ganz gelesen haben, die Aufgabe, jeweils eine Person vorzustellen. Dies kann z. B. in Form eines kurzen Steckbriefes geschehen, wichtig ist vor allem, dass die Haltung gegenüber dem DDR-Regime vor und nach der Wende als Kategorie aufgenommen wird. Geeignete Personen sind Mario, Herr Dehnert, Frau Dehnert, der Mitschüler Klaus, Juliane (die kleine Schwester von Sabines Freund Thomas), der Pfleger, mit dem Sabine zusammenarbeitet (S. 78–80), die Klassenlehrerin Frau Müller und Sabines Arbeitskollegin und Freundin Maria. Der Umfang an Textstellen ist sehr unterschiedlich, evtl. können auch zwei Personen von einem Schüler bzw. eine Figur von einer Gruppe übernommen werden. Bei der Besprechung der Ergebnisse wird sicherlich sehr schnell deutlich, dass zahlreiche Figuren stark typisiert sind. Dies erscheint den Schülern (zu Recht!) etwas zu vereinfachend und wenig differenziert, so wird die kleine Juliane als typischer „Wendehals“ dargestellt und der linientreue Klassenbeste Klaus passt sich ebenfalls ganz schnell in das neue System der BRD ein. Falls zum Abschluss der Reihe eine Buchkritik erstellt wird (z. B. für die Schülerzeitung), kann dies als negativer Aspekt aufgenommen werden. Leistungsstarken Schülern fällt schnell auch ein weiterer Kritikpunkt auf: Das Auftreten vieler Personen scheint lediglich „Mittel zum Zweck“ zu sein, um möglichst viele Themen anzusprechen. Beispiele sind die Westbürgerin Tanja, die vor der Wende eine von Sabines Freundinnen besucht und sehr klischeehaft über das Leben in der BRD berichtet, sowie die Umweltschützergruppe, die verbotene politische Aktionen plant
(S. 31 f.). Auch der Bruder einer Freundin, der bei einem Fluchtversuch verletzt und inhaftiert worden ist, wird nicht als Person vorgestellt, sondern ist nur Anlass, um über die Problematik der Flüchtlinge zu berichten. Dies bietet im Unterricht zwar die Möglichkeit, über viele Themen der DDR-Vergangenheit zu sprechen, lässt die Figuren aber wenig differenziert erscheinen und mindert sicherlich die literarische Qualität des Buches.

„Typisch Ossi, typisch Wessi?“ – Das Reflektieren von Klischees
Obwohl die DDR für die Schüler mittlerweile ein geschichtliches Ereignis ist, das sie nicht miterlebt haben, kennen sie sicherlich zahlreiche Vorurteile gegenüber „Ossis“ und „Wessis“, die in einem Schreibgespräch gesammelt werden können. Auch in der Lektüre finden sich Klischees, die die Schüler herausarbeiten, indem sie arbeitsteilig die Darstellung von Ost- und Westbürgern untersuchen. Folgende Textstellen bieten sich an: der Besuch der Westbürgerin Tanja (S. 34–36), Marios erste Eindrücke von Hamburg (S. 41–45) sowie Sabines Gespräche mit ihren Freundinnen (S. 113 f.) und ihrem Freund Thomas (S. 114–118), als sie nach der Maueröffnung wieder in Leipzig ist. Nach dem Sammeln der Klischees muss dann thematisiert werden, woher diese Bilder kommen und inwiefern sie der Realität entsprechen bzw. zur Zeit der Wende der Realität entsprachen. Hier können nichtliterarische Erinnerungen von Zeitzeugen an die DDR und die Zeit der Wende helfen. An dieser Stelle können aber auch Auszüge aus Zonenkinder von Jana Hensel oder Meine freie deutsche Jugend von Claudia Rusch gelesen werden, die sehr schön die anfängliche völlige Unsicherheit und Überforderung zahlreicher Bürger der DDR schildern und somit viele Vorurteile erklären.

Die DDR in der aktuellen Medienlandschaft
An die Lektüre des Buches Ich fühl mich so fifty-fifty kann sich ein interessantes Projekt über das heutige Bild der Medien vom Leben der Jugendlichen in der DDR anschließen. In leistungsstarken Gruppen können die Schüler arbeitsteilig Präsentationen mithilfe von Leitfragen erstellen (Wie werden die Jugendlichen dargestellt? Welche im Unterricht erarbeiteten Klischees werden aufgegriffen? Welche Wirkung löst die Darstellung beim Leser/Zuschauer aus?), in schwächeren Klassen oder aus Zeitgründen kann die Arbeit gemeinsam mit der Klasse an ausgewählten Beispielen (z. B. einem der unten aufgeführten Filme) durchgeführt werden. Um die literarische Darstellung zu untersuchen, bieten sich folgende Titel an: Thomas Brussig: Am kürzeren Ende der Sonnenallee; Christoph Hein: Von allem Anfang an; Jakob Hein: Mein erstes T-Shirt; Falko Hennig: Trabanten; André Kubiczek: Junge Talente; Ulrich Plenzdorf: Die neuen Leiden des jungen W.; Jana Simon: Denn wir sind anders. Spannend wäre hier auch ein Vergleich mit der Darstellung der Jugendlichen in der BRD (z. B. in Benjamin Lebert: Crazy; Alexa Hennig von Lange: Ich habe einfach Glück). Andere Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit Filmen wie Sonnenallee (Regie: Leander Haußmann. Drehbuch: Detlev Buck, Leander Haußmann. D 1999), GOOD BYE, LENIN! (Regie: Wolfgang Becker. Drehbuch: Wolfgang Becker, Bernd Lichtenberg. D 2003) oder NVA (Regie: Leander Haußmann. Drehbuch: Thomas Brussig, Leander Haußmann. D 2005). Zu diesen finden die Schüler zahlreiche Kritiken z. B. durch eine Internetrecherche. Abschließend sollte unbedingt die sogenannte „Ostalgie“ thematisiert werden. Leander Haußmann äußerte kritisch über die Rezeption seines Films Sonnenallee: „Plötzlich scheint das Ossi-Thema auch kommerziell interessant zu sein.“ (Spiegel, 37/2003, S. 220) Fernsehshows, in denen in nostalgischen Osterinnerungen geschwelgt wird, verklären „die DDR zum lustigsten Diktatürchen aller Zeiten“ (Haußmann im selben Interview). Die Schüler können einen Brief von Sabine verfassen, die heute – Jahre nach der Wende – an einen Fernsehsender schreibt und berichtet, wie sie sich fühlt, wenn sie die „Ostalgieshows“ sieht.

Heimat
Die Erzählung Ich fühl mich so fifty-fifty kann auch viel allgemeiner als Geschichte über Fragen nach der eigenen Identität – Wer bin ich eigentlich? Wo gehöre ich hin? – gelesen werden. Sabine ist zwischen zwei Welten hin- und hergerissen, weiß nicht, wo ihr Zuhause ist. So heißt es am Schluss des Buches: „Es kann doch sein, dass ich in zehn Jahren überall zu Hause bin, in New York genauso wie in Moskau.“ (S. 122) Im Unterricht kann man diesen Themenbereich aufgreifen, indem man die Schüler zunächst ihre eigenen Vorstellungen von „Heimat“ und „Zuhause“ sammeln lässt. Sie sollen notieren, was für sie Heimat ausmacht, was sie vermissen würden, müssten sie diese verlassen (bei Migrationskindern: was sie seitdem vermissen), und ob sie sich vorstellen können, in der Zukunft eine andere Heimat zu haben. Bereits nach diesen wenigen Impulsen wird eine Diskussion zustande kommen. Alternativ erzählen die Schüler von konkreten Erfahrungen mit dem Gefühl Heimweh. Um Sabines Konflikt zwischen Ost und West zu erarbeiten, erhalten die Schüler die produktionsorientierte Aufgabe, Tagebucheinträge Sabines zu schreiben, die auf bestimmte Ereignisse der Handlung Bezug nehmen und sich jeweils um die Frage „Heimat – wo gehöre ich eigentlich hin?“ drehen. Geeignete Textstellen: Sabines distanzierter Blick auf die DDR (S. 82), Sabines und Marias unterschiedliche Sicht auf Griechenland (S. 119 f.) sowie Sabines Überlegungen zu ihrem zukünftigen Wohnort (S. 121 f.). Die letzte Textstelle regt die Schüler dazu an, Spekulationen anzustellen, wie Sabines Leben weitergeht, was sie z. B. mithilfe eines fiktiven Zeitungsinterviews erarbeiten können. Zum Thema Heimat können des Weiteren auch soziologische Texte gelesen werden.


empfohlen von Christiane Althoff