Duplik Jonas 7. Jugendbuchempfehlung
Birgit Rabisch:
Duplik Jonas 7
1. Bibliografische Angaben und Lesestufe
- Birgit Rabisch: Duplik Jonas 7. München: dtv junior, 2005, 192 S.
- Lesestufe: 8./9. Klasse
2. Inhaltsangabe
Birgit Rabisch erzählt in ihrem 1992 erschienen Roman die Geschichte von Jonas 7, einem Duplik (geklontes Lebewesen), der abgeschottet von der Außenwelt in einem Hort lebt. Dort müssen die Bewohner lediglich auf ihre Gesundheit achten, denn ihr einziger Lebenszweck, den sie allerdings nicht kennen, ist es, als „Ersatzteillager“ für ihre genetischen Zwillinge in der „echten“ Welt zu dienen. Eines Tages erfährt Jonas 7, dass er vom sogenannten „Fraß“ befallen ist. Dies ist angeblich eine Krankheit, bei der lediglich eine Amputation der betroffenen Körperteile Heilung bringt. In Wahrheit benötigt der genetische Zwilling die Spende bestimmter Körperteile. Jonas 7 werden die Augen entnommen, da sich der genetisch identische Jonas Helcken in der realen Welt bei einem Autounfall seine Augen verletzt hat. Jonas Helcken, ein Medizinstudent, erfährt von seinen Vater von der Existenz und der Organspende seines Dupliks. Er reflektiert lange über diese Neuigkeit, bezieht Inhalte aus dem Ethikunterricht ein und bekommt immer stärkere Zweifel an den akzeptierten gesellschaftlichen Normen. Er entscheidet sich schließlich, seine politisch sehr engagierte Schwester Ilka und deren Lebensschützergruppe aktiv bei der Befreiung seines Dupliks zu unterstützen. Mithilfe einer Pflegerin des Horts gelingt der Plan. Die Lebensschützergruppe bringt Jonas 7 in ein Versteck und gibt ein Video mit einem Auftritt des von der Realität völlig verwirrten Dupliks an einen Fernsehsender, was das Medieninteresse weckt. Jonas Helcken kann seinen Duplik nicht in Sicherheit ins Ausland bringen, da an den Grenzen ein Sehtest verlangt wird, und entschließt sich zu einer zweiten Operation, in der er Jonas 7 ein Auge zurückgibt. Dieser ist dann aber nicht bereit zu fliehen, sondern will sich aktiv für die Befreiung der anderen Dupliks einsetzen. Er tritt in einer Talkshow auf und berichtet vom Leben als Duplik. Der Ausgang seines Kampfes wird nicht mehr geschildert.
3. Kurzinformationen zur Autorin
Birgit Rabisch wurde 1953 in Hamburg geboren, studierte dort Soziologie und Germanistik und unterrichtet heute Deutsch als Fremdsprache an der VHS Hamburg. In Ihrer Studienzeit war sie in Frauen- und Friedensbewegungen sehr aktiv und beschäftigte sich nach der Geburt des ersten „Retortenbabys“ 1978 mit den Themen Gentechnologie und Reproduktionsmedizin. Aus diesem Interesse entstand ihr erstes Jugendbuch, der utopische Roman zur Gentechnologie Duplik Jonas 7, der mittlerweile in zahlreiche Sprachen übersetzt und mit dem Umweltliteraturpreis NRW ausgezeichnet wurde. Birgit Rabisch hat ganz unterschiedliche Textsorten veröffentlicht: einen Lyrikband (Jammerlürik), einen Krimi (Bis der Mord sie scheidet …), Frauenliteratur (Möglichkeit der Liebe), Jugendbücher (Sonjas Logbuch) sowie kürzlich einen biografischen und zeitgeschichtlichen Roman über ihre Großmutter (Die Schwarze Rosa).
4. Allgemeine Einordnung
Duplik Jonas 7 kann gewinnbringend im Deutschunterricht der Klasse 8, aber durchaus auch in höheren Klassenstufen eingesetzt werden. Das Buch lebt vornehmlich von den ethischen Fragestellungen, die sich aus der Handlung ergeben: Welche Gefahren birgt die Genforschung, welche Chancen bietet sie? Sollen Menschen selbst über das Ende ihres Lebens entscheiden dürfen? Darf/Soll Erbgut vor einer Geburt auf „Gesundheit“ hin untersucht werden? Zentrale Begriffe, die im Unterricht thematisiert werden müssen, sind die Freiheit des Einzelnen, das Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit und die Unantastbarkeit der Menschenwürde. Diese Überlegungen zeigen bereits, dass sich das Buch hervorragend für einen fächerübergreifenden Unterricht mit den Fächern Ehtik oder Religion eignet oder auch als Lektüre ausschließlich in diesen Fächern gelesen werden kann. Gleichzeitig sollte eine Zusammenarbeit mit dem Fach Biologie organisiert werden, zum einen da der aktuelle Forschungsstand (Kann man Menschen klonen? Welche Krankheiten sind pränatal feststellbar?) die Schüler besonders interessiert, zum andern, um zu erarbeiten, wie realistisch die 1992 von Rabisch gezeichneten Visionen sind. Neben diesen Wertediskussionen bietet die Handlung aber auch unzählige Möglichkeiten zu produktionsorientierten Schreibanlässen (innere Monologe, Interviews etc.), in denen die Schüler die Charaktere der Figuren und die Beweggründe ihres Handelns ergründen. Auch die Rolle der Medien, die die öffentliche Meinung zur Existenz von Dupliks entscheidend prägt, lässt sich anhand von Duplik Jonas 7 gut thematisieren.
5. Strukturelle und sprachliche Besonderheiten
Das Buch umfasst 192 Seiten, die sich in 26 sehr unterschiedlich lange Kapitel aufteilen. Die Handlung ist leicht verständlich, da sie linear und ohne Rückblenden oder Vorausdeutungen dargestellt wird. Erzählt wird zumeist mithilfe von inneren Monologen oder Dialogen, wobei die Erzählperspektive zwischen den beiden Protagonisten Jonas Helcken und Jonas 7 wechselt (beide Sichweisen haben ungefähr den gleichen Anteil). Es gibt lediglich zwei Ausnahmen: Das 13. Kapitel „Die Leiterin“ (ab S. 101) berichtet über die Arbeit der Hortleiterin Frau Dr. Hellmann aus der Sicht eines auktorialen Erzählers. Das Kapitel ist ein retardierendes Moment im Spannungsbogen, kurz bevor Jonas 7 befreit wird. Auch das 19. Kapitel „Der Abschied“ (ab S. 129) wird auktorial erzählt und beschreibt die Reaktionen der Freunde von Jonas 7, als sie von dessen vermeintlichem Tod erfahren. Die Sprache ist gut verständlich und sehr sachlich. Insgesamt fällt ihre Nüchternheit und Emotionslosigkeit auf, die sehr deutlich macht, dass das Buch eine sachliche Erörterung des Themas anstrebt und sich nicht in Stimmungen oder Bildlichkeiten verlieren soll. Auffällig ist lediglich das Motiv der Blindheit, hier erkennt der Leser Parallelen zum König Ödipus, der auch erst als Blinder die Wahrheit sieht. Eine Analyse im Unterricht bietet sich allerdings kaum an. Thematisieren kann man aber die Sachlichkeit und ihre Wirkung, wenn in der „realen“ Welt über die Duplikhaltung gesprochen wird (z. B. „Entnahme“ statt Geburt, „Aufzucht“
statt Erziehung). Einige biologische und medizinische Fachbegriffe werden am Ende des Buches in einem Glossar erklärt. Phantasiebegriffe (z. B. die „Genkarte“ als Ausweisdokument) lassen sich aus dem Zusammenhang leicht erschließen.
6. Didaktische Anregungen
Mündliches und schriftliches Erörtern
Die Besprechung der Lektüre mit der Einübung einer schriftlichen Erörterung zu verbinden, erscheint sinnvoll, da der Text zahlreiche kontroverse Fragen aufwirft, die als „Fundgrube“ für Erörterungsthemen genutzt werden können. Auch aktuelle Fragestellungen aus den Medien können gesammelt und in den Unterricht bzw. die Erörterungen einbezogen werden (Gesetz zur Stammzellenforschung in Deutschland [vgl. dazu die Meinung von Jonas Helckens todkrankem Freund Mehmet zur Erforschung von Erbkrankheiten, S. 87 f.], Genmanipulation bei Lebensmitteln, das Klonen am Beispiel des Schafes Dolly etc.). Die ergiebigste Frage des Buches für eine Erörterung ist dabei sicherlich die Kontroverse um die Duplikhaltung. Hier dient besonders das 13. Kapitel „Die Leiterin“, in dem Frau Dr. Hellmann ihre Arbeit als Hortleiterin erläutert, als Materialquelle für die Pro-Argumente. Die Contra-Argumente liefert hingegen Mehmet, der Jonas deutlich macht, dass auch Dupliks Menschen sind und somit dieselben Rechte haben müssen (vgl. 11. Kapitel „Mehmet“ ab S. 83). Je eine Klassenhälfte liest vorbereitend ein Kapitel mit der Aufgabe, die Argumente der entsprechenden Person zum Thema „Duplikhaltung“ herauszuschreiben. Zunächst werden die Argumente dann mündlich ausgetauscht, was methodisch sehr unterschiedlich geschehen kann. Die Schüler können sich zum Beispiel in einer Streitlinie aufstellen, d. h. alle Schüler mit derselben vorbereiteten Position stellen sich in einer Linie auf, die Gruppe mit der Gegenposition in etwa einem halben Meter Abstand gegenüber, so dass jeder Schüler einen direkten „Gegner“ hat und diesem in die Augen blickt. Nun hat die eine Gruppe zwei Minuten lang Zeit, die Argumente jeweils dem direkten Gegenüber vorzutragen und zu erklären, anschließend stellt die andere Seite die Gegenposition vor. In diesen oft sehr lebhaften Phasen (da ja jeweils die halbe Klasse gleichzeitig spricht) darf noch nicht diskutiert werden, es darf jeweils nur der Partner sprechen, der seine Argumente nennt. Nach dem Austausch der Argumente werden diese im Unterrichtsgespräch gesammelt. Alternativ kann man aber auch jeweils die Klassenhälften eigenständig das Tafelbild erstellen lassen, indem die Schüler, die zuhause die Pro-Argumente vorbereitet haben, nun die Contra-Argumente sammeln müssen (die sie ja gerade von einem „Gegner“ vorgestellt bekommen haben) und umgekehrt. Danach fügt man eine Kontrollphase ein, in der die gesamte Klasse das Tafelbild ergänzen kann und Fragen geklärt werden. Nun könnte sich z. B. eine Gewichtung der Argumente anschließen, um den Aufbau einer steigernden Erörterung einzuführen (vgl. dazu z. B. Ulrike Brehm u. a.: Erörterung. München: Oldenbourg, 21998 (= topfit Deutsch.)). Nach der vorbereitenden Hausaufgabe kann man die Thematik aber auch in einer Talkshow erörtern. Hier müssen die Schüler zunächst festlegen, wer in dieser Show auftreten kann (Frau Dr. Hellmann, Ilka, Mehmet oder sein Pfleger Max, ein Mensch, dem durch einen Duplik das Leben gerettet wurde etc.). Danach fertigen die Schüler in Gruppen Rollenkarten an, zwei Schüler können sich eventuell auf die Moderation vorbereiten. Nach dem eigentlichen Spielen der Show muss den Schülern dann Raum gegeben werden, ihre Rolle zu reflektieren, so besteht bei dem Darsteller von Frau Dr. Hellmann wahrscheinlich der Wunsch, sich von der Rolle zu distanzieren. Hier kann nun auch die eigene, persönliche Meinung der Schüler diskutiert werden. Anschließend müssen dann, wie oben ausgeführt, die Argumente systematisch gesammelt und geordnet werden. Bei den zu erörternden Themen sind den Schülern zahlreiche biologische Zusammenhänge nicht oder kaum bekannt. Hier kann entweder fächerübergreifend im Biologieunterricht gearbeitet werden, in leistungsstärkeren Gruppen können aber auch die Schüler kurze Vorträge (eventuell in Zusammenarbeit mit dem Biologielehrer) vorbereiten.
Mögliche Themen sind
- das Klonen,
- die DNA als „Genkarte“ des Menschen, • der aktuelle Stand der Stammzellenforschung und die rechtliche Verankerung in Deutschland,
- die Gentechnologie im Bereich der Lebensmittelproduktion sowie
- die Vorstellung der Erbkrankheiten, die Mehmet im Gespräch mit Jonas anspricht.
Besonders die Schülerinnen zeigen besonderes Interesse an der Geburtenkontrolle, die der Staat im Buch vornimmt. Auch dazu kann ein Referat vorbereitet werden, das sich mit den aktuellen Möglichkeiten der pränatalen Untersuchungen beschäftigt. Sehr engagierte Schülerinnen können hierzu einen Gynäkologen interviewen. An den Vortrag muss sich sicherlich eine Diskussion über die Chancen und Risiken dieser Untersuchungen anschließen.
Auseinandersetzung mit der Handlung
Bei der Besprechung des Romans kann der Schwerpunkt allerdings auch weniger auf die ethischen Fragestellungen als auf die Handlung und die Figuren gelegt werden, wozu sich vor allem zahlreiche produktionsorientierte Methoden anbieten. Sinnvoll ist es dabei, zunächst in geteilter Arbeit eine Tabelle anzulegen, in der die Schüler für jedes Kapitel die Personen, die Handlung/den Inhalt und die wichtigen Fragen und Probleme notieren. Danach können sich die Schüler genauer mit einzelnen Personen auseinandersetzen. Sie erhalten die Aufgabe, als Zeitungsreporter in Gruppen ein Interview mit dem Duplik Jonas 7, Jonas Helcken oder Ilka zu schreiben. Weitere drei Gruppen sollen jeweils ein sachliches Portrait über die drei Figuren schreiben. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass die Gruppen die Veränderungen der beiden männlichen Protagonisten thematisieren. Hilfreich ist es, den Schülern vorher arbeitsteilig die Aufgabe zu geben, verschiedene Kapitel vorzubereiten (bei Gruppen aus z. B. drei Schülern sollte jeder acht bis neun Kapitel nochmals lesen) und Beschreibungen der Person zu notieren. Dies verkürzt die lange Suche nach geeigneten Textstellen. Einige Vorschläge für Tagebucheinträge, Monologe und Dialoge:
- Ein Mensch lässt sich mit seinem Duplik unbemerkt austauschen. Die Schüler sollen einen Tagebucheintrag dieses Menschen schreiben, in dem er schildert, was er erlebt und wie er sich fühlt.
- Um die Schüler anzuregen, sich das Leben im Hort vorzustellen, sollen sie einen Dialog zwischen der Pflegerin Mirdal und einem Vertreter der Lebensschützergruppe schreiben, in dem die beiden zu dem Ergebnis kommen, dass sie einen Plan zur Befreiung von Jonas 7 schmieden müssen.
- In Jonas Helckens Entwicklungsprozess, den er im Buch durchlebt, ist der Besuch bei seinem Freund Mehmet (ab S. 83) ein wichtiger Schritt. Dazu können die Schüler Jonas’ Tagebucheintrag nach diesem Gespräch verfassen.
- Auch Jonas’ Eintrag von dem Tag, an dem er sich entscheidet, seinem Duplik ein Auge zurückzugeben, kann geschrieben werden. Hier können zahlreiche Argumente aus den vorherigen Unterrichtsbausteinen eingearbeitet werden, insofern bietet sich dieser Tagebucheintrag auch als komplexe Aufgabe in einer Klassenarbeit an.
- Um sich näher mit Jonas 7 zu beschäftigen, bieten sich innere Monologe zu unterschiedlichen Zeitpunkten seiner Entwicklung an (naiv im Hort; verängstigt von der Diagnose, „Fraß“ zu haben; eingesperrt in der Wohnung nach der Entführung und beim Besuch der Talkshow im Fernsehen).
An diese Schülertexte können sich dann Diskussionen über den Begriff Freiheit und die Beziehung zwischen dem Duplik und seinem Zwillingsbruder (vgl. S. 173: „Ich hasste ihn nicht mehr. Aber ich liebte ihn auch nicht.“) anschließen. Für die Schüler besonders motivierend ist die Frage, wie sich die Geschichte weiterentwickeln wird. Hier kann zunächst thematisiert werden, warum das letzte Kapitel „Das Ende?“ heißt. Danach können die Schüler unterschiedliche Fortsetzungskapitel schreiben, die diese Frage entweder bejahen oder verneinen. Gleichzeitig können die Schüler Überlegungen anstellen, wieso Duplik Jonas 7 auf die mögliche Flucht freiwillig verzichtet.
Reflexion des Umgangs mit Medien
Neben den ethischen Fragen zur Gentechnologie kann anhand der Lektüre auch die Rolle der Medien behandelt werden, evtl. fächerübergreifend mit dem Fach Politik. Mithilfe des 20. Kapitels „Das Bekenner-Video“ können die Schüler der Frage nachgehen, wie Medien die öffentliche Meinung beeinflussen und wie diese überhaupt entsteht. Im Politikunterricht können z. B. die Macht der Medien und die Bedeutung der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Medien vom Staat thematisiert werden. Auch am Ende des Romans spielen die Medien, hier das Fernsehen, eine zentrale Rolle. Jonas 7 flüchtet nicht, sondern tritt live in einer Fernsehshow auf, „als ob nicht die Schlächter schon auf ihn warteten“ (S. 181). Hier kann mit den Schülern erarbeitet werden, ob das Fernsehen Jonas 7 instrumentalisiert, um Einschaltquoten zu erzielen, und dabei die Risiken, die für ihn mit diesem Auftritt verbunden sind, nicht beachtet. Auch hier sollte die Textstelle nur ein Anlass sein, um das grundsätzliche Verhalten der Medien zu thematisieren und um z. B. den Begriff des Infotainment, die Verkaufsstrategie der Zeitungen durch Schlagzeilen oder die Verfälschung von Bildern zur Dramatisierung zu analysieren. Arbeitsmaterial findet sich in Politikbüchern der Jahrgangsstufen 9 und 10 (z. B. das Kapitel „Stets aktuell – immer verlässlich?“ in: Annette Homann u. a.: Neue Anstöße für den Politik- und Sozialkundeunterricht. Band 3: 9./10. Schuljahr. Leipzig: Klett, 2002. S. 30–53.).
empfohlen von Christiane Althoff